Obdachlosigkeit in München:Leben unter der Brücke

Illegales Obdachlosencamp in München, 2018

So sah es im Sommer unter der Reichenbachbrücke aus, wo Obdachlose ihre Schlafplätze haben. Inzwischen sind die Lager an der Isar abgebrannt oder geräumt worden.

(Foto: Robert Haas)

Zwei obdachlose Frauen haben sich an der Isar eine Art Wohnraum geschaffen. Doch dann kam ein Feuer - und die Stadt.

Reportage von Julia Huber und Stefanie Witterauf

Nur der Teppich aus Ruß erinnert noch daran, was unter der Reichenbachbrücke passiert ist. Das Feuer hat alles weggefressen, was Penka und Dara gebaut haben. Ihre Wände - eine Konstruktion aus Sperrholz und Laken. Die improvisierte Küchenzeile. Das Bargeld. Alles verbrannt. Nun sind sie wieder unterwegs, einmal mehr.

Penka und Dara sind ein Paar, in Wirklichkeit haben die beiden Frauen andere Namen, sie wollen aber anonym bleiben. Penka, die Pflichtbewusste, trägt einen glatten Zopf und ein T-Shirt mit Strass-Steinen. Dara nimmt es leichter. Ihr Haar hat sie seitlich abrasiert. An den Armen Tattoos, die aussehen, als hätte man sie zu heiß gewaschen. Sie lacht oft. Eine Lache wie Schleifpapier, das Sorgen abschmirgelt: wenn es kalt ist; wenn sie wieder einmal aufbrechen müssen. Penka und Dara sind zwei Frauen, für die es keinen Platz zu geben scheint in dieser Stadt mit den höchsten Mieten Deutschlands. Zumindest nicht auf Dauer. Sie sind zwei von rund 1000 Obdachlosen, die laut Schätzung des Evangelischen Hilfswerks auf der Straße leben.

Es ist kein gutes Jahr für die beiden 40-jährigen Bulgarinnen. Eine Zeit lang schliefen sie in einer Ecke am Sendlinger-Tor-Platz. Dann griff ein Mann sie mit einer zerbrochenen Bierflasche an. Noch heute hat Dara tiefe Narben in der Handfläche. Das Paar zog in ein Pensionszimmer in Freimann. Die Miete von 1366 Euro konnten sie sich drei Monate lang leisten. Dann zogen sie unter die Reichenbachbrücke, in ein Camp mit acht anderen Obdachlosen.

Ein Nachmittag im November. Die Stimmung ist gut unter der Brücke. Penka kocht Kaffee auf einer elektrischen Campingplatte. In der Ecke wärmt der Gasstrahler. Dara macht Licht. Genauer, sie steckt Batterien in ein halbes Dutzend Lichterketten. Es dauert, bis die LED-Lichter schummrig leuchten. Als sie fertig ist, lacht Dara, Gewinnerlachen.

In einer Stadt, die für sie unbezahlbar ist, haben die beiden sich ihren Wohnraum selbst geschaffen. Ein Raumspray verbreitet künstlich-süßen Rosenduft. An der Decke ist mit Klebeband ein Selfie-Stick befestigt: Steckt ein Handy darin, wird die Konstruktion zum Heimkino. Fast alles haben Penka und Dara in ihrem Lieblingsgeschäft gekauft, dem Ein-Euro-Shop am Hauptbahnhof. Selbst Hammer und Nägel hat Dara dort gefunden. Sie hat eine Leiste gebaut, an der in verknoteten Plastiktüten Brot und Schokolade baumeln. Die Tüten schützen die Lebensmittel vor Mäusen. Penka schüttelt sich. Sie hat Angst vor Mäusen. Manchmal liegt sie deshalb die ganze Nacht wach.

Der Alltag besteht aus Zeitabsitzen

In München muss niemand auf der Straße schlafen - dieser Satz fällt oft. Für Obdachlose gibt es diverse Heime. Als Bulgarinnen haben Penka und Dara aber keinen Anspruch auf einen festen Platz dort. Die Stadt verweist auf das Kälteschutzprogramm in der ehemaligen Bayernkaserne. Eine Unterkunft, die nur zum Schlafen gedacht ist. Morgens, ab Viertel vor neun, müssen alle raus. Die schmalen Schließfächer müssen leer sein. Was noch da ist, wird entsorgt. Um 17 Uhr dürfen die Obdachlosen wiederkommen. Ein Alltag, der aus Zeit absitzen besteht.

Penka hat eine Rangliste in ihrem Kopf gemacht. Ganz oben, der Traum von einer Wohnung. Doch die Stelle als Altenpflegerin hat sie kürzlich verloren. Ihre Gelegenheitsjobs reichen nicht für die Miete. An zweiter Stelle, das Heim unter der Brücke. "Uns geht es gut hier, uns ist nicht kalt", sagt sie. Den Gedanken an die dritte Option, die Bayernkaserne, schiebt sie an diesem Novembertag lieber weg.

Dabei hat das selbstgebaute Lager von Penka und Dara zu diesem Zeitpunkt längst einen ersten Riss bekommen. Ein paar Tage zuvor sind zwei Männer unter die Brücke gekommen und haben ein laminiertes Papier an einen der Holzbalken getackert. Es ist ein Aushang voller Ausrufezeichen. "Camping verboten! Bitte entfernen Sie Ihre Sachen!" Und die Ankündigung: "Das Camp wird am 29. 11. 2018 entfernt!" Für die Landeshauptstadt München ist das Risiko zu hoch, dass einer der Obdachlosen erfrieren könnte. Oder dass ein Feuer ausbricht.

Das Feuer zerstört alles, was sie besitzen

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Am 22. November musste die Feuerwehr einen Brand unter der Reichenbachbrücke löschen. Die obdachlosen Frauen verloren ihren ganzen Besitz.

(Foto: Feuerwehr München)

"Katastrophe", sagt Dara. In der Hand hält sie einen dampfenden Becher. An den Fingern trägt sie Ringe, die von Weitem aussehen wie Siegelringe. Von Nahem prangen zwei Logos darauf, BMW auf dem einen, Benz auf dem anderen. Auf ihrer Tasse steht "I love Munich". Ob München tatsächlich besser zu ihr ist als ihre Heimatstadt Pasardschik in Bulgarien? "Ja", sagt sie, ohne nachzudenken.

Über ihre Herkunft sprechen die beiden wenig. Fragt man nach, erzählt Penka von fehlender Arbeit und Armut. Von gescheiterter Ehe und Aussichtslosigkeit. Ihre Tochter bekam Penka mit 16. Inzwischen hat sie fünf Enkel, aber kaum Kontakt.

Zur Räumung ihres Camps kommt es am Ende nicht. Genau eine Woche vor dem Termin bricht in der Nacht ein Feuer unter der Brücke aus. Penka und Dara können sich retten. Niemand wird verletzt. Doch was sie besitzen, verbrennt: ihre Handys, 900 Euro Erspartes in bar, der Rucksack mit all ihren Papieren, abgeheftet in Klarsichthüllen. Die Polizei geht nicht von Brandstiftung aus. Sie vermutet einen Unfall: Womöglich habe einer der Obdachlosen einen Gaskocher umgestoßen.

Letztlich landen sie doch in der Bayernkaserne

Und Dara und Penka landen dort, wo sie eigentlich nicht hinwollten. In der Bayernkaserne. Um zu Haus zwölf zu kommen, muss man eine Weile laufen. Vorbei an den Räumen für Obdachlose mit Hunden. Vorbei an den Containern für diejenigen, die gegen die Hausordnung verstoßen haben. Wer im Haus raucht, muss drei Nächte im Container verbringen. Wer stiehlt, fünf.

In der Kaserne gibt es zwei Bereiche: einen für Männer, einen für Frauen. Die Menschen werden nach Nationalitäten auf die Zimmer verteilt. Ein Zimmer ist für Frauen aus afrikanischen Ländern, eins für die aus Deutschland. Im Raum für Bulgarinnen stehen drei Stockbetten nebeneinander. Penka und Dara sitzen beim Picknick. Dara unten im Stockbett, Penka hat ihre Beine auf dem Boden ausgestreckt. Dazwischen Wiener Würstchen aus der Familienpackung. Suçuk und Fladenbrot haben sie in Stücke gerissen. Messer sind verboten.

Wohin sie am nächsten Morgen gehen, wissen sie noch nicht. Vielleicht in die Teestube an der Zenettistraße. Die Anlaufstelle für Wohnungslose ist im Winter ziemlich voll. Mehr als 150 Menschen kommen dort täglich vorbei, zum Teetrinken, zum Aufwärmen. "Wir gehen spazieren", sagt Penka. Täglich machen sie ihre Runden um den Hauptbahnhof. Dort ist ein türkischer Supermarkt, in dem sie gerne einkaufen. Das "Schiller 25", ein Beratungszentrum für wohnungslose Migranten, ist gleich um die Ecke.

Um die Zeit bis zum nächsten Gelegenheitsjob zu überbrücken, mussten sie ein Schmuckstück im Leihhaus versetzen. Von dem Geld haben sie neue Handys gekauft - und ihr Abendessen. Außerdem waren sie im Ein-Euro-Shop: Penka freut sich über ihr weißes T-Shirt mit einer Palme darauf. "Jetzt müssen wir aber sparen", sagt sie dann, und es klingt, als hätten sie unter der Brücke wie im Luxushotel gewohnt.

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