Null Acht Neun:Ungebremste Männer

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Leichtmetall, Stahl, Carbon: Auf den Radwegen zeigt sich die neue Liebe vieler Münchner - gerade im Winter

Kolumne von Christian Mayer

Es geht auf Weihnachten zu, und streng genommen ist gar kein Radfahrwetter mehr. Früher wären die Münchner, die nicht so irrsinnig sind, bei überfrierender Nässe mit dem Auto in die Arbeit oder zum Einkaufen zu fahren, jetzt auf die U-Bahn oder die Tram umgestiegen; sie hätten ihr Rad eingemottet und Mitte März wieder aus dem Keller geholt. Aber München ist ja auf bestem Wege, doch noch so etwas wie eine Radlermetropole zu werden, zumindest investiert die Stadt gewaltige Summen in dieses schöne Ziel, und wenn jetzt schon die Fraunhoferstraße so einen roten Paradestreifen für die Biker bekommt und heilige Anwohnerparkplätze dafür geopfert werden, ist der Fortschritt nicht mehr aufzuhalten.

Als Winterradler ist man auf einmal nicht mehr allein. Das liegt einerseits am Münchner Winter, der seinen Namen kaum mehr verdient, und wenn er sich mal bemerkbar macht, gleich die gesamte Stadt und sämtliche Oberleitungen von Pasing bis Berg am Laim lahm legt. Andererseits liegt es an der ständig wachsenden Gruppe von Menschen, für die das Fahrrad kein Fortbewegungs-, sondern ein Rauschmittel ist.

Meist sind es unzulänglich gereifte Männer, die zu ihrem verführerisch blitzenden High-Tech-Gerät eine erotische Beziehung pflegen. Es ist eine sündhaft teure Liebe auf zwei Rädern, eine Liaison in Leichtmetall, Stahl und Carbon. Man braucht dazu unbedingt das richtige Modell, das man keinesfalls in einem Geschäft, sondern in einer Manufaktur erwirbt. Auch für eine kleine Schwitztour durch den Perlacher Forst muss man ja vollumfänglich hochgerüstet sein.

Vor den mittelalterlichen Männern, die mit ihren smarten Bikes vom Säbener Platz in Harlaching über die Oberbiberger Kamikaze-Strecke Richtung Nussbaum-Ranch rasen, sollte man sich jedenfalls in Acht nehmen; Männer in aerodynamischen Castelli-Funktionsanzügen bremsen generell nur dann, wenn die Blase drückt. Auch jetzt, im Winter, der noch nicht ganz so gut wie sie in die Gänge gekommen ist, brettern sie in einem Tempo durch den Wald, dass jeder Spaziergänger ins Gebüsch springen möchte.

Man darf die Vermutung äußern, dass die unaufhaltsamen Extremradler in einem früheren Leben eine erotische Beziehung zu ihrem SUV oder Porsche hatten. Aber inzwischen sind sie ja ganz vernünftig geworden und achten voll aufs Klima, auch im Winter.

Wird Zeit, dass es bald mal wieder richtig schneit in München.

© SZ vom 14.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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