Null Acht Neun:Nicht nur Engel singen

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Zur Weihnachtszeit ertönen in der Stadt vielerorts Lieder - was einigermaßen anstrengend sein kann

Kolumne von Christiane Lutz

Sich angemessen in Weihnachtsstimmung zu bringen, ist gar nicht so leicht. Die Gelegenheiten dazu sind wider Erwarten nämlich sehr rar. Wer bei adventlichen Zusammenkünften mit Freunden vorschlägt, "mal was zu singen" wird geschmäht und ausgelacht. Zuhause besinnlich Musik einschalten ist mühsam, wenn auf sämtlichen Weihnachts-Playlists Mariah Careys enervierendes "All I want for Christmas" drauf ist. Sonst im Angebot: sich himmelhochjauchzend überschlagende Kinderstimmen, mit viel klanglichem Lametta behangene Neuinterpretationen von Weihnachtsklassikern. Helene Fischer haucht aktuell zum Beispiel "Santa Baby" in einem Duett mit Robbie Williams auf dessen Weihnachts-CD. Williams lässt keine Gelegenheit aus, "Heleyne" für ihre Tüchtigkeit zu loben, was mehr nach Promo als nach Weihnachtsplätzchen riecht. Die neue Version des in der "Metoo"-Debatte in Verruf geratenen "Baby it's cold outside" bringt es auch nicht recht. Im Original von 1944 lässt sich eine Frau von einem Mann zum Bleiben bequatschen und muss sich sehr wundern, was er ihr in den Drink gemischt hat. John Legend hat den Song von aller Schmuddeligkeit befreit und neu aufgenommen. Er ruft ihr am Ende sogar das Taxi.

Ist das jetzt fortschrittlich oder doch etwas albern? Überlegt man, während auf dem Wochenmarkt bei zwölf Grad eine kleine Herren-Kapelle "Vom Himmel hoch" hupt. Das ist immerhin so lange besinnlich, bis einem die Posaune verstopft und das Konzert vorzeitig abgebrochen werden muss. Eine ähnliche Combo steht ein paar Tage später im Zwischengeschoss des Ostbahnhofs und versucht sich an weihnachtlicher Zwangsbeglückung vorbeieilender Passanten. Das Medley - irgendwas zwischen Heintje und Guns n' Roses - verhallt weitgehend ungehört. Wieder nichts.

Sonntagabend in einem Münchner Wirtshaus dann: Drei vielleicht Zwölfjährige treten durch die Tür. Sie tragen mit Sternmuster bedruckte Umhänge und sagen, sie wollen was singen. Ist das jetzt der Moment, in dem der weihnachtliche Funke überspringt? Die Heilige Familie platzte schließlich auch ungebeten herein, das gehört ja irgendwie dazu. Sie legen los: "Wir sagen euch an, den lieben Advent, sehet die dritte Kerze brennt". Sie singen leise, sie singen schräg. Die Gäste gucken irritiert, der Wirt guckt irritiert und dreht die Musik nicht leiser. "Kommen die nicht erst zu Drei König?", raunt einer. Dann geht eines der Mädchen von Tisch zu Tisch und bittet um "eine Gabe" für eine "arme Familie". Irgendeine Form von institutioneller Legitimation durch die Schule oder eine Kirchengemeinde kann sie nicht vorweisen, aber es sei ja bald Weihnachten, da wolle sie der Familie eine Freude machen.

Tja. Was, wenn sie schwindelt? Und, schlimmer, wenn sie es ernst meint und ihr niemand etwas gibt? So argwöhnt man, während man beschämt auf sein üppiges Schnitzel guckt. Seufzend rückt man die Kohle raus. Nicht unbedingt wegen der armen Familie. Sondern aus Prinzip. Wer Weihnachtsstimmung sucht, darf beim Finden derselben nicht zimperlich sein. Sonst wird das ja nie was.

© SZ vom 21.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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