Null Acht Neun:Münchner Blut

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Dem Bayerischen Roten Kreuz ging in dieser Woche das Blut aus. Wer nun spenden will, muss aufs Land reisen. Oder umziehen. Das mindert allerdings die Attraktivität dieser Tätigkeit, mit der viele persönliche Erinnerungen des Autors verbunden sind

Von Rudolf Neumaier

Je nach Blut war man ein gefragter Mann in München. Als Inhaber der sehr seltenen Blutgruppe 0 mit Rhesus-Faktor negativ in der Herzog-Heinrich-Straße einzulaufen, war ungefähr so erhebend wie mit einem Chevrolet Bel Air Cabriolet durch die Leopoldstraße zu schweben. Man hatte das Gschau der Leute. In der Leopoldstraße gab es Cafés, in denen wie in den Helmut-Dietl-Filmen Studentinnen auf Cabriofahrer warteten. Und in der Herzog-Heinrich-Straße gab es den Blutspendedienst des Bayerischen Roten Kreuzes. Wenn die wundervolle Frau am Empfang mit "Oh, ein negativer Nuller" grüßte, klang das fast mehr gestöhnt als gesprochen. Bei einer ausgewiesenen Null war Blutspenden also immer förderlich fürs Selbstvertrauen.

Überhaupt muss man Nicht-Blutspendern erst mal klarmachen, dass keineswegs bei allen Spendern Altruismus im Vordergrund steht. Von wegen wir retten Leben. Es fing damit an, dass man sich als junger Mensch kostenlos und zuverlässig auf Geschlechtskrankheiten untersuchen lassen konnte, die in Schwabinger WGs grassierten. Zudem standen in der Herzog-Heinrich-Straße immer üppige Brotzeiten bereit, kein Schaumwein zwar und keine Austern, doch Aufschnitt und Nutella bis zum Abwinken. Als erfreulichster Effekt am Blutspenden aber erwies sich der Wandel des eigenen Körpergefühls: Du gibst einen halben Liter Blut ab und fühlst dich fünfzig Kilo leichter. Ungelogen! Auch wenn die Umwelt das nicht wahrnimmt, schwebt man als Zwei-Zentner-Brummer wie eine Feder durchs Leben, zumindest für ein paar Tage. Die Menschen in früheren Jahrhunderten waren ja keine Dummköpfe, wenn sie sich um die vier Mal im Jahr zur Ader ließen.

Vier Mal im Jahr - so oft kommt der Blutspendedienst in Provinznester wie Töging und Winhöring. Die Zapfstation in der Herzog-Heinrich-Straße hingegen hat längst dichtgemacht. Dass dem BRK in dieser Woche das Blut ausging, klingt daher wie ein übler Witz. Wer als Münchner beim BRK Blut spenden will, muss aufs Land reisen. Oder gleich umziehen. Leider arbeiten da draußen ehrenamtliche Rentner am Empfang, die weder stöhnen noch Ahnung haben von negativen Nullen. Doch immerhin: Das BRK-Team selbst kommt aus München, und der stets gut gelaunte Pfleger, der zuverlässig mit dem ersten Versuch die Nadel in den Arm treibt, hat zu jeder Jahreszeit denselben Spruch drauf: "Ozapft is."

© SZ vom 17.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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