Null Acht Neun:Mehr Valentin wagen

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Vieles, was Münchens großer Komiker schuf, wirkt vom heutigen Lebensgefühl sehr weit entfernt. Aber sein dadaistischer Humor ist es immer noch wert, gehört zu werden

Kolumne von Wolfgang Görl

Wenige Monate vor seinem Tod am 9. Februar 1948 schrieb Karl Valentin in einem Brief: "Ich habe meine lieben Bayern und speziell meine lieben Münchner genau kennen gelernt. Alle anderen mit Ausnahme der Eskimos und Indianer haben mehr Interesse an mir als meine 'Landsleute'." Valentin, ohnehin ein zaundürrer Mensch, war zum Skelett abgemagert und gesundheitlich marode; vor allem aber war er verbittert, weil der Rundfunk seine neue Sendereihe nach wenigen Folgen eingestellt hatte, und weil er spürte, dass sein Humor bei den Wiederaufbau-Münchnern nicht mehr ankam. Dabei hat er München geliebt, "a oids Buidl von München", hat er einmal gesagt, "is mehra wert ois a Brillant". Und wenn er doch mal raus musste aus der Stadt, war's für ihn wie eine lebensgefährliche Expedition zu den Quellen des Nils. Seine Münchner Wohnung ist im Krieg zerstört worden, Valentin starb im Exil in Planegg. Als er dort beerdigt wurde, war kein städtischer Offizieller zugegen, um ein paar Abschiedsworte zu sagen.

Angesichts dessen klingt es im ersten Moment wie eine späte Wiedergutmachung, dass der Kulturausschuss auf Antrag der Grünen soeben empfohlen hat, in loser Folge einen "Großen Valentin-Karlstadt-Preis" zu vergeben - oder besser gesagt: den "Großen Karl-Valentin-Preis", den der Schriftsteller Alfons Schweiggert initiiert hat, in städtische Obhut zu nehmen. Der Preis, so ist in der Beschlussvorlage zu lesen, besteht aus nichts, es gibt nicht mal eine lumpige Urkunde. Auf diese Weise wird der Preisträger gleich mal mit dem Tragikomischen in Valentins Humor konfrontiert: Nach der ersten Euphorie stürzt er in die Verzweiflung desjenigen, der erfährt, dass er gewonnen hat und doch nichts kriegt. Mindestens ebenso exquisit ist die Begründung der Grünen: Der Preis könne dazu beitragen, "die Erinnerung an Valentin und Karlstadt von Missverständnissen und Verzerrungen zu befreien, die durch die wiederholten Missgriffe der Narrhalla bei der Verleihung ihres Karl-Valentin-Ordens entstanden sind".

Da ist insofern was dran, als die Narrhalla den Orden gerne solchen Leuten verleiht, deren Humor, sofern sie überhaupt einen haben, mit Valentins vielschichtiger Komik so viel zu tun hat wie ein Münchner Faschingsprinz mit der englischen Queen. Der große Humorist Stoiber ist Ordensträger, ebenso Heino, die Klitschko-Brüder, Papst a. D. Benedikt und zuletzt der sogenannte Volks-Rock'n'Roller Andreas Gabalier. Hat jemals ein Mensch, ausgenommen die offenbar im Schaumweindelirium tagende Ordensjury der Narrhalla, bei diesen Namen gedacht: Hey, die sind ja so witzig wie Valentin? Und soll man jungen Leuten, die noch nie etwas von Valentin gehört haben, den Komiker mit dem Hinweis näherbringen, er sei so lustig wie Heino oder der Papst?

Ohnehin hat man den Eindruck, dass junge Münchner mit Valentin nicht mehr viel anfangen können; dass sie für seine Figuren, die sich in Sprache verheddern und aberwitzig scheitern, keine Antennen haben. Das war mal anders: In den Sechziger- und Siebzigerjahren ging kaum ein Biergartenabend zu Ende, ohne dass mindestens ein Zecher den Valentin zitiert hätte - gerne auch mit einem Valentin-Zitat, das frei erfunden war. Vielleicht sind Vorstadttypen wie der Firmling oder der Buchbinder Wanninger zu weit weg vom heutigen Lebensgefühl, vielleicht ist Valentins dadaistischer Humor nicht schrill genug, um im Gedöns hämisch auftrumpfender Comedians gehört zu werden. Es wäre schade, verdammt schade, allein wegen seiner unsterblichen Sätze wie: "Hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie es schon ist."

© SZ vom 13.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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