Null Acht Neun:Mehr Pfeffer in die Feier

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Wir sollten wieder Fasching feiern wie früher. Heute sind die Aussagen des Polizeipräsidenten dazu wichtiger als die Prinzentrupps der Narrhalla

Von Rudolf Neumaier

Es sagt sich so einfach: "Wir feiern den Fasching wie in der Vergangenheit auch." Hubertus Andrä will das als "Tipp" verstanden wissen, wie er anmerkt. Ein Tipp des Polizeipräsidenten stellt sich in diesen Tagen nicht nur als Empfehlung dar - er ist vor allem eine Entwarnung: Wird schon nix passieren. Anders als heute standen Polizeipräsidenten in der Vergangenheit, die Herr Andrä beschwört, zu dieser Jahreszeit in der Münchner Hierarchie weit unter den Prinzentrupps der Narrhalla und der Würmesia. Und in polizeiliche Tipps waren allenfalls Warnungen verpackt: Achtung Autofahrer, verstärkte Alkoholkontrollen. Haben Andräs Leute für solche Bagatellen überhaupt noch Zeit? Was sind schon 2,1 Promille auf der Rosenheimer Straße gegen eine Terrorwarnung im Heiliggeiststüberl?

Unbeschwert ist er seit der Silvesternacht nicht mehr, der Fasching. Die Verkäufer von Pfefferspray machen bessere Geschäfte als die Anbieter von Billig-Strapsen und ähnlich freizügigen Faschingskostümen. Und als Tanzlehrer beweist du dem Kreditberater deines Vertrauens Geschäftssinn, wenn du dich zum Selbstverteidigungscoach weiterbilden lässt, weil die saisonspezifische Konjunktur für Discofox-Auffrischungskurse ausbleibt. Wäre man nicht schon immer Faschingsmuffel gewesen, man könnte glatt einer werden. Aber wenn der Polizeipräsident meint, dann feiern wir halt.

Dazu haben sich schon ganz andere aufgerafft, Erich Mühsam zum Beispiel, eigentlich ein Prachtexemplar von Anti-Faschingsprinz. Mühsam (1878-1934) war auch ziemlich genau das Gegenteil von einem Polizeipräsidenten. Anarchist, Schriftsteller, Bohemien, welch letzteres gerade in seinem Fall bedeutete: brillanter Schnorrer und Lustmensch. Mit seinem Vollbart sah er in seinen frühen Münchner Jahren genauso aus wie die Hipster von heute. Trotzdem bekam er meistens, was er wollte: Geld und Sex. Über seinen ersten Münchner Faschingsabend berichtet er: "Ich war in den Plüschüberzug eines grünlichen Fauteuils gekleidet, den die Frau eines Freundes für diesen Zweck seiner ursprünglichen Bestimmung entzogen hatte, und ich gestehe, daß mir einigermaßen beklommen zumute war."

Als fast schon militanter Anarchist konnte er natürlich nicht tanzen, dennoch amüsierte er sich von Jahr zu Jahr fulminanter. Namentlich bei diesen Lustbarkeiten verliebte er sich in diese Stadt und ihre "freie Unbefangenheit des Genießens". Einen Münchner Fasching wie in der Vergangenheit zu feiern, in dem sich sogar Revoluzzer wohlfühlten, ist so etwas wie ein historischer Auftrag. Deshalb: Strapse an, Plüschüberzug vom Wohnzimmersessel drüber und ab auf die Pfefferspray-Party!

© SZ vom 16.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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