Null Acht Neun:Mach dich frei

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Die beste Art, in diesen Tagen Ballast los zu werden: zum Wertstoffhof in Thalkirchen fahren. Es ist ein Ort, der glücklich macht

Von Christian Mayer

Der Typ da mit dem schwarzen Ford Kombi, wie der selig lächelt, als er den Kofferraum öffnet und drei ältere Esszimmerstühle herauszerrt! Und diese schlanke Dame mit dem langen Kaschmir-Mantel: Anmutig wie eine Balletttänzerin trippelt sie die Stufen hinauf zur Rampe, eine gebrauchslädierte Stehlampe in der rechten Hand, die sie mit Aplomb in den Abgrund fallen lässt. Noch rührender ist dieses junge Paar, das offenbar zusammengezogen ist. Was bei ihnen im Container landet, mögen die Reste ihrer beendeten Single-Vergangenheit sein, zerschlissene Matratzen, traurige Zimmerpflanzen, Deko-Kitsch. Danach fassen sie sich feierlich an den Händen. Zumindest das wäre mal geschafft.

Wer an einem sonnigen Samstagmittag den Wertstoffhof Thalkirchen besucht, kann sich selbst vom Unwesentlichen befreien, ganz ohne Coach und Wie-werde-ich-meinen-Ballast-los-Seminar. Schon bemerkenswert, wie zufrieden die Menschen aus der Münchner Wohlstandszone aussehen, wenn sie ihre unnützen Besitztümer fahren lassen, damit sie weitere unnütze Besitztümer anhäufen können. So viele fröhliche, entspannte Leute an einem Ort, wie kann das sein?

Der Wertstoffhof hat seinen eigenen rauen Charme, den Zauber des Vergänglichen. Obwohl hier ein strenges Regiment herrscht, eine Ordnung und Disziplin, der man sich als gelegentlicher Samstagsentsorger bereitwillig unterwirft. Das liegt an den Männern und Frauen in den orangefarbenen Anoraks, die selbst bei 16 Grad Ende Dezember nie ins Schwitzen geraten und ihre Befehle meist nonverbal erteilen, manchmal nur mit einem Stirnrunzeln. Die Allwetter-Grenadiere der Münchner Abfallwirtschaft scheinen komplett eins zu sein mit sich und den Dingen, doch man sollte sich besser nicht mit ihnen anlegen. Bei allzu unbekümmerten Vertretern der Wegwerfgesellschaft verfallen sie in einen grantigen Ton, der noch aus einer Zeit stammt, als man in bayerischen Wirtschaften von der Bedienung jedes Mal angerempelt wurde, wenn man zu lange mit der Bestellung brauchte: "Du, den Fernseher nicht in den Metallcontainer, gell", "Das ist Glas. GLA - AS, kein Restmüll, KEIN RESTMÜLL, HOST MI?!" oder auch "HEY DU, FOTOGRAFIEREN NUR MIT GENEHMIGUNG, STEHT AUF DEM SCHILD!" Die Dame mit dem Kaschmir-Mantel hatte tatsächlich versucht, ein letztes Selfie mit ihrer Lieblingslampe zu machen. Wie gerne würde man hier länger verweilen, wie gerne würde man den kontemplativen Lärm genießen, das Klirren und Krachen, das den Akt der Entsorgung begleitet, aber von hinten drängeln weitere Münchner zu den Container-Parkplätzen; auch sie müssen Gewicht abwerfen, bevor das neue Jahr beginnt.

Noch sind sie genervt vom Verkehr, aber gleich wird ein Lächeln über ihr Gesicht huschen.

© SZ vom 24.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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