Null Acht Neun:Hallo Nachbarn!

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Dank sozialer Netzwerke kommt man Nachbarn jetzt auch im Internet näher. Das ist spannend, wirft aber auch Fragen auf

Von Johan Schloemann

Ich habe einen sehr netten Nachbarn, mit dem ich seit ein paar Wochen auf Facebook befreundet bin. Er kommt offenbar besonders dann zum Arbeiten am Computer, wenn die Kinder im Bett sind. Denn ob er nun eine kluge Beobachtung postet, ein apartes Musikvideo oder atemberaubende, sehr neidisch machende Wanderbilder aus den Alpen, meist tut er das um 21.47 Uhr, um 22.31 Uhr oder um 2.11 Uhr. Um diese Zeit sitzen oder liegen wir in unseren Wohnungen kaum mehr als vierzig Meter voneinander entfernt, schätze ich, und zwar auf selber Ebene im ersten Stock, Vorderhaus.

Jetzt bitte nicht sagen: Oh, noch so ein weltfremder Printjournalist entdeckt Facebook! Die sozialen Netzwerke sind tatsächlich schon vor ein paar Jahren zu mir vorgedrungen. Mich interessiert aber konkret die Frage, was sie in einer Stadt wie München mit der Sozialität im Nahbereich machen. Was es also heißt, digitaler und realer Nachbar gleichzeitig zu sein. Wohnungstüren in Großstädten signalisieren ja eigentlich Abgeschiedenheit, gerade bei engem Nebeneinander. Jetzt aber dringt die Wolke überall durch die Ritzen der Türen. Auch nachts.

Soll ich deshalb meinen Nachbarn auf seinen Wach- und Schlafrhythmus ansprechen, wenn ich ihn beim nächsten Mal im Hof oder auf ein Bier treffe? Welche Wlan-Netze sind verschlüsselt, welche nicht, und hat das was zu sagen? Wer ist eigentlich ganz froh, rund ums Haus ein paar Dinge teilen zu können, ohne immer an den Türen zu klingeln zu müssen? Es soll ja auch Eltern geben, die ihre Familie per Whatsapp zum Esstisch rufen. Und was ist mit den zwei Nachbarn, die über achtzig Jahre alt sind und seit Jahrzehnten im Haus wohnen - findet sich noch jemand zum Oldschool-Chat mit den beiden im Treppenhaus? Im Vergleich zu anderen Städten hat München ja eine ganz gute Nachbarschaftskultur.

Mal sehen also, wie sich das entwickelt. Dazu habe ich mich jetzt bei dem Nachbarschafts-Netzwerk nebenan.de angemeldet. Meine automatisch generierte Begrüßung: "Ein herzliches Hallo an alle! Schön, dass ich jetzt meine Nachbarschaft noch besser kennenlernen kann." Man soll sich da helfen und verabreden, und durch Anzeigen örtlicher Geschäfte soll es sich irgendwann auch rechnen. Allzu viel ist noch nicht los, aber das kann ja noch kommen. Leider gibt es noch keine Funktion für anonymes Denunziantentum. Daran würde ich mich sofort gerne beteiligen, am besten um 3.26 Uhr nachts. Dann würde ich mich nämlich endlich mal trauen zu sagen, dass ich Grillen auf dem Balkon asozial finde.

© SZ vom 09.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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