Null Acht Neun:Elbphilharmonie? Schneehaufen!

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Jetzt haben die Hamburger, diese Pfeffersäcke, tatsächlich ein gländzendes Konzerthaus hingestellt. Doch keine Sorge: München kann mithalten, in aller Bescheidenheit

Von Wolfgang Görl

Seit der Eröffnung der Elbphilharmonie sieht man auf Münchens Straßen viele Menschen, die gesenkten Hauptes und bleich wie der Tod übers Trottoir taumeln. Man muss da nicht lange nach der Ursache fragen, jeder weiß, dass die "Elphi" ein nahezu tödlicher Stich ins Herz der Münchner Kulturbürger ist. Zusammengefasst lautet das vielstimmige Lamento so: Warum kriegen die Hamburger, diese Pfeffersäcke, für die das Rascheln großer Geldscheine das schönste Klangerlebnis ist, einen tollen Konzertsaal, während die vom Rathausglockenspiel musikalisch aufs Höchste geschulten Münchner mit der Bahnhofshallenakustik der Philharmonie vorlieb nehmen müssen? Und dann schaut das Hamburger Glasdings auch noch grandios aus, wohingegen das Münchner Konzerthaus, sollte es je gebaut werden, aus lokalpatriotischen Gründen nach dem Vorbild des Augustiner Oktoberfestzelts gestaltet wird. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass München kulturell auf das Niveau von Unterschweinbach herabsinkt und die Besten der Besten, wie etwa die Augustiner-Festkapelle, ausschließlich in der Elbphilharmonie konzertieren.

Vor lauter Zerknirschung wird oft übersehen, dass während der Frosttage in München ein mindestens gleichwertiges Leuchtturmprojekt vollendet wurde. Die Rede ist von dem ebenso voluminösen wie formschönen Schneehaufen, den der städtische Winterdienst auf dem Marienplatz aufgeworfen hat. Die ästhetische Qualität der kristallinen Installation ist so beeindruckend, dass sie derzeit die meistfotografierte Attraktion Münchens ist, noch vor dem Bronzewildschwein am Jagdmuseum. Ehe das Tauwetter einsetzte, standen die Leute Schlange, um vor dem mannshohen Schneehügel ein Selfie zu schießen, ganz Mutige riskierten sogar eine Rutschpartie vom Gipfel ins Tal. Für die danebenstehende Mariensäule interessierte sich hingegen kein Schwein.

Wie man sieht, ist die Schneeschaufelbrigade der Stadtwerke locker in der Lage, Kunstwerke von Rang zu schaffen, die sich keineswegs hinter der Elbphilharmonie verstecken müssen. Noch immer hat München genug kreative Köpfe, nur macht man hier nicht so viel Gedöns wie in Hamburg. So ist es der sprichwörtlichen Münchner Bescheidenheit geschuldet, dass die Einweihung des zentralen Schneehaufens ganz ohne Brimborium über die Bühne ging. Selbst OB Reiter verzichtete auf eine Ansprache, ja, er ließ sich nicht einmal auf der Gitarre hören. Gerade als Sozi weiß er, dass alles dahinschmilzt. Das bedrohliche "Warte nur, balde" gilt auch für den herrlichsten Schneehaufen, und es ist ja gerade seine Flüchtigkeit, die ihn als avantgardistisches Kunstwerk ausweist. Dagegen wirkt die Elphi richtig antiquiert, und die Hamburger können froh sein, wenn das Monstrum beim nächsten Hochwasser weggespült wird. Bis dahin ist dann hoffentlich das Münchner Konzertzelt fertig. Für die feierliche Eröffnung ist die Augustiner-Festkapelle bereits gebucht.

© SZ vom 14.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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