Null Acht Neun:Echtes Fernweh

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Tagträume voller Söder-Drohungen und bei der Rückkehr Corona-Tester statt Freunde am Flughafen: Gerade für die urlaubsverliebten Münchner sind die Ferien in diesem Jahr ein sehr spezielles Erlebnis

Kolumne von Wolfgang Görl

So langsam kommen jetzt die Urlauber zurück, meist etliche Stunden nach Sonnenuntergang, um sich im Schutze der Dunkelheit in ihre Wohnungen zu stehlen. Vor einem Jahr war das noch ganz anders. Damals, in den guten Zeiten vor Corona, glich die Rückkehr der Münchner, die ihre Ferien an weltberühmten Geheimtipp-Stränden verbracht hatten, dem Triumphzug einer siegreichen Armee. Die Ankunft mit dem Taxi oder dem familieneigenen SUV am helllichten Tag gestalteten die Heimkehrer als Event für die gesamte Nachbarschaft, man rief Begrüßungsformeln in der Sprache des Urlaubslandes über die Straße, stellte landestypische Mitbringsel, etwa ein ausgestopftes Krokodil oder den in Plastik gehauenen Koloss von Rhodos aufs Trottoir, und lud an einem der folgenden Abende zu einem Menü, wie man es während der Reise bei Yak-Hirten im tibetischen Hochland genossen hatte. Dabei rieb der Hausherr seinen Gästen unentwegt unter die Nase, was sie alles versäumt hatten, und verwies auf die selbst verfassten, illustrierten Reisetagebücher auf Facebook und Instagram, in denen jede Minute dieses in der Geschichte des Tourismus einzigartigen Urlaubs dokumentiert sei.

Heute, im Coronazeitalter, klingen derlei Begebenheiten wie Heldenepen aus der Steinzeit. Um es kurz zu sagen: Irgendwie hat der Urlaub seine Unschuld verloren. Wer früher die Freunde und Kollegen mit seinen Reiseplänen neidisch stimmen wollte, der schwärmte von einsamen Stränden, der Sonne Homers oder Tauchgängen im Angesicht des Weißen Hais. Nunmehr ist nur noch von Reisewarnungen, Risikogebieten und der ausbleibenden Rückerstattung der Lufthansa die Rede, da bleiben kluge Menschen lieber im Lande und machen Urlaub in Heinsberg oder Bad Feilnbach. Und ja, auch Balkonien ist schön und womöglich sogar coronafrei, aber die Sonne Homers scheint nun mal woanders. Wohl deshalb haben sich einige Münchner bei Nacht und Nebel aufgemacht, um die Ferien im Ausland zu verbringen.

Es versteht sich von selbst, dass ihr Erholungsurlaub am bulgarischen Goldstrand oder auf Mallorca unter keinem guten Stern stand. Immer wenn sie im Liegestuhl vor sich hindösten, erschien in ihren Tagträumen der Söder und rief: "Mene mene tekel u-parsin!" Das ist Aramäisch und bedeutet nichts Gutes. Auch die Aussicht, bei der Rückkehr am Flughafen nicht von Freunden, sondern von Corona-Testern empfangen zu werden, trübte die Stimmung und veranlasste einige sittlich nicht ganz sattelfeste Urlauber, sich einen Sundowner zu viel hinter die Antivirenbinde zu kippen. Apropos: Der Maskentausch nach dem Strandfußballspiel hätte vielleicht auch nicht sein müssen, und was die Bierflaschen betrifft, die immer reihum gingen - Schwamm drüber. Das war zwar superlustig, ist aber nicht hundertprozentig geeignet, es den Kumpeln bei der Wiedersehensfeier am Gärtnerplatz zu erzählen. Am Ende kämen die auf die Idee, man wäre so leichtsinnig wie ein Fleischfabrikant. Überhaupt wäre es dumm, sich heutzutage als Ferienreisender zu outen. Besser man sagt, man war ein paar Wochen im Knast.

© SZ vom 29.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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