Null Acht Neun:Der Münchner ist ein armer Tropf

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Dortmunds Oberbürgermeister beklagt sich, Krimiautoren würden seine Stadt fortwährend mobben. Ja, steht der völlig neben der Kappe?

Kolumne von Wolfgang Görl

Dortmunder müsste man sein. Dann wäre das Leben aufregend, ein permanenter Tanz auf dem Vulkan, wobei dieser Vulkan herrlich versifft und vermüllt wäre. Dortmund - was für eine coole Stadt! Anarchisch, ungezügelt, berstend vor kreativem Zorn. Zwischen Ruinen und ausgedienten Fördertürmen, unter denen der Boden zusammensackt, saufen sich entlassene Bergleute den Tag schön, sofern sie nicht von Mörderhand dahingerafft werden. So faszinierend erschien die Ruhrpott-Metropole beim jüngsten ARD-Tatort, und man versteht gar nicht recht, warum sich Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau genötigt sah, den Krimiautoren "fortwährendes Mobbing" gegen die Stadt vorzuwerfen. Ja, steht der völlig neben der Kappe? Sieraus Münchner Kollege Dieter Reiter wäre froh, hätte er nur einen Bruchteil von Dortmunds Schmuddelecken. Aber in München ist ja alles so gelackt und geschniegelt, so herausgeputzt, dass Mörder aus dem Ruhrpott, sollten sie hier was planen, noch vor der Tat wegen mieser Klamotten verhaftet würden.

In München stirbt man edler, und wenn ein Verbrecher dahintersteckt, kann der Tod, wie bei der Tatort-Folge "Unsterblich schön", auch schon mal im hautfreundlichen Schokoladenbad zuschlagen. Eben diese beklemmende Blitzsauberkeit hat soeben die Schauspielerin Gisela Schneeberger in einem dpa-Interview beklagt. Man sehe kaum noch "alte Mutterln am Stock" oder "Männer mit nur einem Zahn im Mund", stattdessen gebe es nur schicke Studenten und tolle vegane Geschäfte. "Nur noch schick und manchmal auch rücksichtlos" - so sei das München von heute. Und da ist ja was dran, das bejammern ja alle, nicht zuletzt die Erfolgsmenschen, die in 4000-Euro-Lofts residieren und beim Edeljapaner speisen, der früher eine verqualmte Vorstadtboazn war, in der man locker einen Dortmund-Tatort hätte drehen können.

Sind die alten Tatort-Folgen, jene, in denen Hauptkommissar Melchior Veigl alias Gustl Bayrhammer noch biergemütlich ermittelte, nicht wie eine Reise in eine versunkene Welt? Manchmal, wenn einer der alten Schinken wiederholt wird, wünscht man sich, es wäre mehr davon übrig geblieben: Von den unaufgeräumten Hinterhöfen, den Trinkhallen voller Schicksalsgestalten, den Baulücken, die noch vom Krieg stammten, den als Künstlerateliers genutzten Holzbaracken und den wildwuchernden Brachflächen. Lauter Schandflecke - so hieß es damals. Und jetzt, da sie fort sind, sehnt man sich nach ihnen und muss ersatzweise Dortmund-Krimis anschauen.

Der Münchner ist ein armer Tropf, eine gespaltene Persönlichkeit: Seine Stadt soll Bling-Bling sein, aber auch irgendwie bäh. Sollte der Gasteig eines fernen Tages tatsächlich aufgehübscht und edelfunkelnd gemacht werden wie Ribérys Steaks, wird zur Einweihung der philharmonische Chor singen, wie schön doch einst der alte war.

© SZ vom 26.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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