Null Acht Neun:Als ein Auto noch ein Bekenntnis war

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Neulich in Laim stand sie plötzlich vor einem, bildschön, als hätten ihr die vielen Jahre auf der Straße nichts anhaben können. Und dann kamen all die Erinnerungen hoch, die mit der "Döschwo" verknüpft sind, dem Citroën 2CV

Kolumne von Wolfgang Görl

Sie stand an einer Ampel in Laim, bildschön, ja beinahe jugendfrisch, so als hätten ihr die vielen Jahren auf der Straße nichts anhaben können. Im ersten Moment wollte man im perfekten Englisch "Hey, long time not seen" sagen, aber nein, das wär' nicht gut gekommen, sie ist ja Französin. Und was für eine! Ein echtes Schmuckstück, das schönste Auto, das je gebaut wurde: die Ente. Offiziell heißt das Gefährt ja Citroën 2CV, Kenner sagen auch "Döschwo", was französisch ist und nach Auskunft des französischen Generalkonsulats "Zwei Pferde" heißt - ein diskreter Hinweis auf die sagenhafte Motorleistung. Der Döschwo ist ein lässig geformtes Gebilde aus Blech und irgendwelchen obskuren Materialien, die die Citröen-Mechaniker im Sperrmüll und auf historischen Schlachtfeldern gefunden haben. In der guten alten Zeit, also in den Sechziger- und Siebzigerjahren, waren diese Enten häufig zu sehen; heute sind sie so selten wie das Spitzmaulnashorn oder Heavy-Metal-Gitarristen, die noch nicht taub sind.

Den Nachgeborenen ist vielleicht unbekannt, dass der Döschwo nicht einfach nur ein Auto war, sondern ein Bekenntnis. Wer Ente fuhr, gehörte einer revolutionären Avantgarde an, die für die Abschaffung des Kapitalismus, die Verschrottung aller Atomwaffen und Mercedes-Limousinen, für freie Liebe und friseurfreien Haarwuchs eintrat. Sobald man die 2CV-Revolverschaltung, die einer aufgespießten Billardkugel glich, betätigt und Gas gegeben hatte, war man ein anderer Mensch: Einer, dessen Leben ein einziges Abenteuer ist, ein Held wie in einem Nouvelle-Vague-Film, stets mit einer qualmenden Gauloises im Mundwinkel, deren Asche der durch diverse Ritzen dringende Fahrtwind verweht, während die mitfahrenden Freundinnen und Freunde, die untereinander in Zwei-, Drei- und Vierecksbeziehungen verstrickt sind, die Rotweinflasche kreisen lassen und aus Camus' "Der glückliche Tod" zitieren, wenn die Ente mit 90 Sachen einen geringfügig langsameren Sattelschlepper überholt und am Horizont der Gegenverkehr bedrohlich auftaucht.

Das alles ist ewig her, und eigentlich dachte man, die gesamte Entenpopulation läge längst auf dem Autofriedhof. Und dann steht mit einem Mal so ein Wunderauto an der Ampel - wow! Es ist, als wäre der Urvogel Archaeopteryx wiederauferstanden, und sogleich mischt sich in die Freude eine Prise Trauer: Muss sich die Ente nicht verratzt fühlen zwischen den fetten SUVs, mit denen die Münchner ihren Beitrag zur Verwüstung der Erde leisten? Früher, in den großen Döschwo-Zeiten, grüßten sich die 2CV-Kapitäne mit Lichthupe oder Arbeiterfaust, das war am Nordkap nicht anders als in Sizilien. Nach Tausenden von Entengrüßen war jedem klar: Es gibt eine Internationale der Entenfahrer, deren Akteure ein edleres Leben anstreben und die ein Beispiel geben, dass Autofahren nicht zwangsläufig ein Krieg jeder gegen jeden ist. Wären sie damals an die Macht gekommen, die Welt wäre heute eine bessere.

© SZ vom 31.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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