Null Acht Neun:Advantage Papa

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Der Sohn spielt jetzt Tennis, das stellt den Vater vor Herausforderungen. Cool bleiben, nicht über den Platz brüllen. Leicht gesagt, nicht ganz so leicht getan

Von Rudolf Neumaier

Tennis zählt mit Eiskunstlauf und Synchronschwimmen zu den Leibesübungen, die nur im Fernsehen schön und einfach ausschauen. Probiert man sie selbst aus, bereiten sie Pein. Wer beispielsweise zum Tennisschläger greift, erlebt denselben Effekt wie Geigenschüler. Nur dass es sich nicht so schauderhaft anhört, weil die Saiten eines Racketts zum Glück stumpfer klingen als die einer Violine. Dafür sieht es umso lächerlicher aus, wenn Anfänger und andere Stümper einem herbeifliegenden Ball entgegendilettieren. Tennis wurde erfunden, als es noch keine Slapstickfilme gab. Einfach so. Damit die Leute was zum Lachen haben.

Dann kam ein Jüngling aus Leimen namens Boris Becker, und die Deutschen erlebten live am Fernseher, dass man mit einem Tennisschläger epische Dramen schreiben kann. Inzwischen gilt Tennis sogar als Sportart. Und es gibt Tenniseltern. Der Schlierseer Sozialforscher Gerhard Polt zeigt in seinem Monolog "Longline" aufs Eindrucksvollste, was es damit auf sich hat. Polts Match fängt dezent an und steigert sich in einen sagenhaften Gefühlsausbruch. Wie Ravels Bolero, nur aggressiver. Seitdem stehen alle Tenniseltern unter Generalverdacht, dass sie ihre Kinder entweder übermuttern oder sie an den Ohrwascheln packen, um mit ihnen den Aschecourt abzuziehen, und andere Tenniseltern übelst beschimpfen. Polt macht alle Tenniseltern zu einem Synonym für Verbissenheit.

Wer Kinder in die Welt setzt, muss selbst als unsportlicher Finanzmuffel mit allem rechnen. Sogar damit, dass sie mit sieben Jahren Immobilienmakler werden und mit acht Tennis spielen wollen. Na gut, die Tennisstunden spart man sich von Gasthausbesuchen ab. Doch dann schlägt die Stunde des ersten Matches. Und das ist ein Pflichttermin, dem Eltern genauso beizuwohnen haben wie der Einschulung und der Erstkommunion. Mit finsterstem Argwohn begrüßt man die anderen Eltern. Man kennt sie ja, von Polt. Gleich werden sie loszetern und "Longline" rufen. Vielleicht fangen sie eine Schlägerei an - das gäbe eine hübsche Geschichte für die Zeitung. Aber es bleibt ruhig. Extrem ruhig. Die Eltern der ersten Spieler haben eine beneidenswerte Routine im Erdulden von falschen Aufschlägen und Leichtsinnsfehlern. Wieder landet ein Ball im Netz - und der Vater des Mädchens flucht nicht einmal. Ja, spinnt denn der? Mitunter wird sogar aufmunternd geklatscht. Was sind das für Menschen!?

Als schließlich der künftige Immobilienmakler debütiert, fliegt sein erster Ball ins Aus und der zweite ins Netz. Nach etwa sieben Ballwechseln richten sich die Blicke des Publikums weniger auf den Platz und den neuen Spieler, sondern auf dessen Vater daneben. Der hat gerade nacheinander in gestiegener Lautstärke "Mannomann", "Reiß dich zusammen, Bub!", "Ja, bravo!!" und "Zefix!!!" gerufen und sich - ohne es zu merken - zu einem bildsauberen Realsatire-Deppen gemacht. Selten so geschämt. Das Kind hat zwar gewonnen. Aber jetzt soll es lieber Geige lernen.

© SZ vom 08.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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