Notfallbetreuung im Kita-Streik:Entnervte Eltern, überlastete Erzieher und freie Plätze

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Während manche Notfalleinrichtungen nur halb gefüllt sind, stehen andere Eltern und Kinder weiter auf der Straße. (Foto: Marco Einfeldt)
  • Wegen des Kita-Streiks stellt die Stadt 1000 Notbetreuungsplätze für Kinder im Kindergartenalter zur Verfügung. Sie sind gleichmäßig auf 40 Einrichtungen in der ganzen Stadt verteilt.
  • Die Nachfrage ist aber in verschiedenen Stadtteilen sehr unterschiedlich: So bleiben in einer Kita Notbetreuungsplätze ungenutzt, während in anderen die Eltern Schlange stehen.
  • Prinzipiell kann jedes Kind in jedem Stadtteil einen Notbetreuungsplatz bekommen. Die sinnvolle Verteilung der Kinder auf Einrichtungen bereitet im Organisationschaos des andauernden Streiks aber Probleme - für Stadt, Kitas und Eltern.

Von Lisa Böttinger

Irene Schwarzfischer hatte einen Plan. Mit ihren Kolleginnen hat sich die stellvertretende Leiterin der Kita in der Richard-Wagner-Straße bei Streikbeginn auf 25 Kinder eingestellt, die einen Notfallplatz in der Einrichtung bekommen würden - zusätzlich zu den 50 regulären Kindergartenkindern. Doch während Eltern in anderen Stadtteilen verzweifelt für einen Härtefallplatz Schlange stehen, bleiben in der Maxvorstadt die Notfallplatz-Kinder aus.

In manchen Kitas sind alle entspannt - woanders herrscht Chaos

Schwarzfischer klappt ihr Notizbuch auf, sie dokumentiert den Kita-Streik schriftlich, Tag für Tag. Nur zwei Notfallplatz-Kinder kamen in der ersten Streikwoche, drei in der zweiten, dann wurden es elf. Heute betreuen sieben Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen 33 reguläre und 13 Notfallplatz-Kinder. "75 Kinder und 15 Erwachsene in unseren Räumen, das wäre eigentlich schon Wahnsinn", sagt Schwarzfischer. Die Kita plante für den Ausnahmezustand eine Waldgruppe und Sportgruppen in der kleinen Turnhalle - "wir waren auf alles eingestellt". Doch dann blieb der Ausnahmezustand aus.

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Wenn Eltern der Geduldsfaden reißt

Eltern, die einen Not-Betreuungsplatz wollen, sollen sich nach Auskunft des Bildungsreferats telefonisch an die zentrale Elternberatungsstelle wenden. "Mich schockiert es, dass viele Eltern gar nicht mehr zum Telefonhörer greifen, sondern sich direkt beim Büro der Kita-Leitung beschweren", sagt eine Mutter, die einen Notfallplatz in einer Truderinger Kita ergattert hat. Dort hätten vergangene Woche etwa 20 wütende Eltern lautstark mit den Erzieherinnen diskutiert - vor den Augen ihrer Kinder.

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Die Nachfrage nach Notbetreuungsplätzen könne regional unterschiedlich sein, heißt es zur Erklärung aus dem Bildungsministerium. Dass manche Einrichtungen halb leer stehen, während woanders Eltern überlastetes Personal anklagen, liege auch an den Eltern selbst: "Es kommt vor, dass Eltern andere Wünsche haben", sagt eine Sprecherin des Ministeriums. Die Beratungsstelle schlage Eltern stets alle in der Stadt verfügbaren Notbetreuungsplätze vor.

"Natürlich nehmen wir Kinder von überall"

Die Kitaleiterin in Laim ist neben der Kinderbetreuung derzeit vor allem damit beschäftigt, entnervten Eltern am Telefon abzusagen. "Wir können das bald nicht mehr stemmen", sagt die Frau. Auf dem Gang der Kita in der Richard-Wagner-Straße in der Maxvorstadt dagegen ist es ruhig, nur ein paar Töpfe klappern in der Puppenküche am Ende des Flurs.

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"Natürlich nehmen wir auch Kinder aus anderen Stadtteilen", sagt Irene Schwarzfischer und öffnet die Tür ihres Büros. "Gehen wir jetzt spielen?", fragt sie ein kleiner Bub in grauer Jogginghose. Und Schwarzfischer geht. Wenn der Streik noch länger dauert, sagt sie, rechne sie mit einem Ansturm in der kommenden Woche. Dann wird sie zusätzliches Personal bei der Quartiersleitung anfordern: "Wir müssen von Tag zu Tag flexibel sein. Wenn Streik ist, sind alle Pläne umsonst."

© SZ vom 03.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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