Neuhausen:Sprungbrett zur Kunst

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Das International Munich Art Lab in Neuhausen bietet jungen Menschen die Chance, sich jeweils ein Jahr lang, betreut von Künstlerinnen und Sozialpädagogen, auszuprobieren und berufliche Perspektiven auszuloten

Von Sonja Niesmann, Neuhausen

Vernissage der Imal-Ausstellung ist am Mittwoch, da ist noch Zeit für eine schnelle Pause. (Foto: Florian Peljak)

Der Rahmen ist mit Luftpolsterfolie bespannt, darauf biegt sich ein Frauenkörper, modelliert aus einem zartblauen Stoffgespinst, die Konturen der Figur näht Valerija Saplev von der Rückseite her mit dunklem Garn auf. Luftpolsterfolie statt Leinwand, Valerija findet das nicht sonderlich ausgefallen. "Ich interessiere mich sehr für Upcycling", sagt sie, die Verarbeitung von vermeintlichem Abfall zu neuen Produkten also. Hinter einem Wandschirm hängt ein Hochzeitskleid aus Plastik, beschriftet mit russischen Hochzeitsbräuchen, das sie kreiert hat. Dass sie künstlerisch arbeiten will, war der jungen Frau schon länger klar: "Ich wusste nach dem Abitur aber nicht genau, wohin, ich wollte so viel ausprobieren." Gelandet ist sie dann beim International Munich Art Lab, kurz Imal. Und die Frau aus Stoff ist ihre Abschlussarbeit für die Jahresausstellung "Dehnen und Strecken".

Das Imal unter der Trägerschaft der Kontrapunkt gGmbH bietet seit nunmehr zwei Jahrzehnten 50 jungen Menschen die Chance, sich jeweils ein Jahr lang, betreut von Künstlerinnen und Sozialpädagogen, auszuprobieren, berufliche Perspektiven in der weiten Landschaft der Kreativität auszuloten. Mitbringen muss man, sagt der Sozialpädagoge David Luitgart, "ein bisschen Interesse und kreative Motivation". Ein Schulabschluss ist nicht nötig. Und zahlen muss man lediglich Geld für die gemeinsam zubereiteten Mittagessen.

Amelie Wiesholler bei der Vorbereitung ihrer Arbeiten für die Präsentation. (Foto: Florian Peljak)

Dieses vom Sozialreferat und dem Europäischen Sozialfonds finanzierte Orientierungsangebot beginnt im Herbst mit einem Grundlagenprogramm, zeichnerisch und am Computer, sowie einem Bewerbungstraining. Denn im Januar absolvieren alle ein sechswöchiges Praktikum, das sie nicht zwingend in ein Fotostudio, ein Atelier oder ein Museum führt; es kann auch eine Gärtnerei, eine Bank oder ein Kindergarten sein. Danach werden diverse Workshops angeboten: Bildende Kunst, Urban Art, Video, Installation, Grafik, Kommunikationsdesign, Performance, Siebdruck und einiges mehr.

Im Art Lab herrschen aber nicht nur Laborbedingungen, die jungen Menschen erleben dabei auch, was ein echter Auftrag im Kreativbusiness erfordert, wenn sie etwa die Webseite für Pomki, das Internetportal der Stadt für Kinder, oder das Titelblatt des Münchner Ferienfamilienpasses gestalten dürfen. Oder für das Valentin-Karlstadt-Musäum einen Trojanischen Dackel bauen, die Münchner Variante des Pferdes. "Das Schöne ist", findet Valerija Saplev beim Rückblick auf die vergangenen zehn Monate, "dass du nicht eingeschränkt wirst, dich frei auseinandersetzen kannst mit allem. Und dass dir jemand deine Stärken und Schwächen zeigt".

Auch Valerija Salpev nutzt das International Munich Art Lab in Neuhausen, um ihre Kunst zu präsentieren. (Foto: Florian Peljak)

Jeder Imal-Jahrgang ist aufgesplittet in zwei Gruppen: 25 arbeiten im Haus der Medien an der Neuhauser Rupprechtstraße, eher fokussiert auf Neue Medien. Die andere Gruppe ist im sogenannten Kreativquartier an der Dachauer/Schwere-Reiter-Straße zuhause, in einer riesigen, ein wenig heruntergekommenen Halle, der ihre industrielle Vergangenheit aus jeder Ritze dringt. Vor dem Einzug des Imal war eine rüstungsnahe Schmiede hier untergebracht, dann die Schaltzentrale der städtischen Straßenbeleuchtung. Wo einst Scheinwerfer repariert wurden oder Lkw durch die Waschstraße rollten, schweißen nun zwei junge Männer für die anstehende Ausstellung Fahrradteile zu einer Installation zusammen, klebt eine junge Frau Streifen um Streifen Wrigleys-Kaugummipapier auf einen großen, weißen Bogen und stichelt eben eine junge Frau mit Garn auf Luftpolsterfolie.

Ende 2020 läuft der Mietvertrag für dieses Gebäude aus. Das ganze Areal zwischen Schwere-Reiter-, Dachauer-, Hess- und Lothstraße wird - ein städtisches Renommierprojekt - umgestaltet zu einem neuen "Kreativquartier", in dem Wohnen, Kultur und Kreativwirtschaft eng verzahnt werden sollen. Uli Glaess und Kristin Weber vom Imal-Team sind aber zuversichtlich, dass sie bleiben können, in dieser inspirierenden, bunten Nachbarschaft mit Pathos-Theater, Mucca, Halle 6, Atelierhaus und der Import-Export-Kantine. Hat doch der Stadtrat mehrmals betont, die gesprossene Subkultur solle nicht ausgerupft werden, sondern hineinwachsen ins neue Kreativquartier, mitwachsen mit ihm. Die Chancen stehen also gut, glauben die beiden, dass hier weiter junge, künstlerisch interessierte Menschen eine Plattform zum Experimentieren, bestenfalls ein Sprungbrett ins Berufsleben haben.

"Es ist aber nicht so, dass wir jedes Jahr 50 junge Künstler in die Welt entlassen", stellt Weber klar. Manche machen nach dem Imal-Intermezzo beruflich etwas ganz anderes, manche besuchen eine Schule. Andere wie Valerija Salpev, der übers ganze Gesicht strahlende Jimmy oder drei weitere aus dem Jahrgang, die sich alle beworben haben, schaffen die Aufnahme an die Akademie für Bildende Künste.

© SZ vom 16.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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