Neuhausen:Operation am offenen Herzen

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Autos raus aus der Furt am Rotkreuzplatz: An der Umsetzung dieser politischen Initiative soll nun das Planungsreferat tüfteln. (Foto: Robert Haas)

Grüne, SPD, ÖDP und Linke wollen Autofahrten über den zentralen Rotkreuzplatz verbieten. Nur Busse, Radler und Rettungsfahrzeuge sollen die Fußgängerzone queren dürfen. Wie der ausgesperrte Verkehr abfließen soll, bleibt offen

Von Sonja Niesmann, Neuhausen

"Wir wollen weniger Auto wagen und mehr Platz für Fußgänger und Radler haben." Mit diesen Worten leitete Nikolai Lipkowitsch (Grüne) einen gemeinsamen Antrag seiner Fraktion, der SPD, der ÖDP und der Linken ein, der im Viertel mit Sicherheit aufgeregte Debatten auslösen wird. Der Rotkreuzplatz, Neuhausens Zentrum und Herz, soll weitgehend vom Autoverkehr abgehängt werden, die "Furt" genannte Straßenschneise, die den Platz in zwei Fußgängerbereiche teilt, sollen nur noch der Linienbus, Rettungsfahrzeuge und Radfahrer passieren können.

Laut Lipkowitsch haben dies auch das Planungsreferat und die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) angeregt: Nach dem Beschluss, in der auf den Rotkreuzplatz mündenden Wendl-Dietrich-Straße eine Fahrspur für Radler und den Bus 62, der beschleunigt werden soll, abzumarkieren, könne man doch Nägel mit Köpfen machen und den Verkehrsraum am Platz selbst auch anders aufteilen. Ergänzt wird dieser Plan durch eine Latte weiterer Vorschläge: die Umwandlung von Parkplätzen zum Beispiel am Ende der Donnersbergerstraße und vor der Gaststätte Jagdschlössl in Fahrrad-Stellflächen, die Verlegung der Radspuren vom Rand in die Mitte der Furt, eine offizielle Querung für Radler von der Donnersbergerstraße durch den Fußgängerbereich zur Furt (verbotenerweise radeln längst viele quer über den Platz, anstatt ihr Gefährt zu schieben), ein grüner Pfeil für rechtsabbiegende Radfahrer, Radstreifen auf der Nymphenburger Straße in beiden Richtungen, zwischen Romanstraße und Landshuter Allee auf der rechten Fahrbahnspur sowie eine Haltestelle für den 62er in der Furt selbst.

"Das ist der weitreichendste Verkehrsplanungsantrag, den wir je in diesem Gremium hatten", kommentierte CSU-Fraktionssprecherin Gudrun Piesczek, "schlichtweg entsetzt" darüber, dass ein Thema von solcher Tragweite am Dienstagabend in so kleiner Runde, in dem nur mit 13 von 41 Mitgliedern des Bezirksausschusses besetzten Ferienausschuss behandelt werde. Den Vertagungsantrag der CSU lehnte der Ausschuss mit neun gegen vier Stimmen jedoch ab. Im vorberatenden Unterausschuss, so Lipkowitsch, sei ausführlich diskutiert worden, und "CSU und FDP haben da den Finger in manche Wunde gelegt".

Das versuchten CSU und FDP auch an diesem Abend im "Backstage" noch einmal, obwohl von vorneherein klar war, dass sie auf verlorenem Posten kämpften. Felix Meyer (FDP) erklärte: "Damit fahren nicht weniger Autos, sondern die Autos fahren länger, wir schicken sie einfach um ein Eck weiter", durch anliegende Straßen wie etwa die Volkartstraße. Die FDP-Stadtratsfraktion hatte bereits am Tag vor der Unterausschusssitzung in Neuhausen unter dem Titel "Pläne für den Rotkreuzplatz - Eine Verschlechterung der Verkehrssituation?" einen umfangreichen Fragenkatalog bei der Stadtverwaltung eingereicht. Die Befürworter des Antrags konterten, es gebe Beispiele aus Städten wie etwa Kopenhagen, die zeigten, dass Verschlechterungen für Autofahrer diese aus einer Gegend vertrieben, der Verkehr also abnehme.

"Ich vermisse in diesem Antrag aber konkrete Vorschläge, wo der ausgesperrte Verkehr stattdessen fließen soll", bemängelte Wolfgang Schwirz (CSU), der sich ausmalte, wie Gegenverkehr oder gar Lkw zum Beispiel in der engen Volkartstaße stecken bleiben. Konkrete Lösungen zu finden und dabei "ein bisschen Fantasie" walten zu lassen sei Aufgabe des Planungsreferates, entgegnete Lipkowitsch. Gudrun Piesczek bezweifelte, dass mehr Aufenthaltsqualität am Rotkreuzplatz gewonnen werde. Nach wie vor müssten die vielen Fußgänger und Radler miteinander auskommen, aneinander vorbeikommen und auch auf den verbleibenden motorisierten Verkehr achten. Vor einer Bushaltestelle mitten in der Furt warnte Piesczek explizit: "Da muss man höllisch aufpassen, dass der Rotkreuzplatz nicht zu einem zweiten Romanplatz wird, einem reinen Zweckplatz für die MVG."

Letztlich, bilanzierte BA-Vorsitzende Anna Hanusch (Grüne) am Ende der etwa 30-minütigen Debatte, treffen hier "eben zwei verschiedene Sichtweisen, wie der öffentliche Raum verteilt wird", aufeinander. "Wir, der BA, sind nicht für Ideologien sondern fürs Wohl der Viertelbewohner da", sagte Piesczek.

Dass die Beschränkungen für die Autofahrer "schmerzhaft spürbar" sein werden, bestreiten die Befürworter dieses Vorhabens nicht, das gegen die vier Stimmen von CSU und FDP auf den Weg gebracht worden ist. Die Sperrung der Furt solle, schlagen sie vor, als einjähriger Pilotversuch laufen, erst nach Auswertung der Ergebnisse solle über eine endgültige Sperrung entschieden werden. "Ja, das kann schiefgehen", räumte Nikolai Lipkowitsch ein, "aber man muss es mal probieren und man kann ja nachbessern." Und setzte im Brustton der Überzeugung hinzu: "Die 40 Prozent, die uns Grüne gewählt haben, wollen so eine Veränderung."

© SZ vom 20.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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