Es kann gut sein, dass - sagen wir, im Januar 2019 - einige ganz seriös wirkende Frauen und Männer in der Hilblestraße anmarschieren und die Schilder mit dem Straßennamen überkleben. Dass die Parallelstraße zur Leonrodstraße nach einem überzeugten Antisemiten benannt wurde, ist den Neuhauser Stadtviertelpolitikern seit Langem ein Dorn im Auge, schon 2012 haben sie eine Umbenennung beantragt. Sollte auch dieses Jahr verstreichen, ohne dass sich etwas tut, will der Bezirksausschuss (BA) seinem Anliegen mit einer Protestaktion Nachdruck verleihen, hat er soeben einstimmig beschlossen.
Auf Friedrich Hilble fiel die Wahl, weil er, so die Begründung 1956, ein "verdienter Leiter des städtischen Wohlfahrts- und Jugendamtes" gewesen sei, "auf seine Initiative hin wurde das Altersheim St. Joseph gebaut". Recherchen der Geschichtswerkstatt Neuhausen für ihr Straßennamen-Buch "Von der Aiblingerstraße bis Zum Künstlerhof" ergaben ein anderes, weit weniger schmeichelndes Bild: Hilble habe Juden die Sozialhilfe verweigert und im NS-Jargon "asozial" genannte Menschen in Arbeits- und Konzentrationslager bringen lassen. Einen solch willfährigen Vollstrecker von Nazi-Gesetzen - auch weitere Veröffentlichungen bestätigen das - Jahre nach dem Ende der Diktatur derart zu ehren, nannte die Geschichtswerkstatt "unverständlich" und "unhaltbar"; der Bezirksausschuss sah das genauso.
Dann geschah lange nichts. 2015 forderte das Kommunalreferat ein Gutachten vom Stadtarchiv zum Fall Hilblestraße an, in dem letztlich eine Umbenennung empfohlen wurde. Doch ehe es dazu kam, beantragte die SPD-Fraktion im Rathaus, alle Münchner Straßennamen auf ihre historische Belastung zu durchleuchten und Empfehlungen zu erarbeiten, wie man damit umgeht. Bis zum Abschluss dieser umfangreichen, systematischen Untersuchung, so bestimmte der Ältestenrat des Stadtrats, sollten alle Anträge auf Umbenennung zurückgestellt werden. Denn die Hilblestraße ist nicht die einzige, die in der Kritik steht, weitere sind die Alois-Wunder-Straße in Pasing, die Treitschkestraße in Moosach, der Kißkaltplatz in Schwabing und der Georg-Freundorfer-Platz im Westend.
Seit Kriegsende bekamen etwa 200 Straßen in München einen neuen Namen. Straßennamen sind immer ein Stück Geschichte, "Ausdruck eines zeitgebundenen Werte- und Normensystems", wie das Stadtarchiv formuliert - Werte oft, die spätere Generationen ganz anders beurteilen, die ihnen im schlimmsten Fall wie eine Verhöhnung der Opfer erscheinen. In den vergangenen zehn, zwölf Jahren hat sich die Diskussion über unangebrachte Ehrungen von Rassisten, Antisemiten oder zweifelhaften Akteuren der Kolonialzeit auf Straßenschildern intensiviert. Historiker der Ludwig-Maximilians-Universität erforschen seit geraumer Zeit, welche Rolle speziell die Münchner Stadtverwaltung im Nationalsozialismus innehatte.
Seit 2005 erhielten fünf Straßen einen neuen Namen: Die nach General Lothar von Trotha benannte Straße heißt nun Hererostraße, aus der Meiserstraße wurde die Katharina-von-Bora-Straße, aus dem Leonhard-Moll-Bogen der Landaubogen, aus der Paul-Lagarde-Straße die Ilse-Weber-Straße und aus dem Friedrich-Berber-Weg der Brunnthaler Weg.
Die Diskussion um die Hilblestraße griff zuletzt ein Anwohner wieder auf. In der Neuhauser Bürgerversammlung im vergangenen Herbst erklärte der junge Mann, er wohne seit einem Jahr in dieser Straße und habe mit Erschrecken festgestellt, dass sie nach einem Anhänger der Nationalsozialisten benannt sei. Er forderte die sofortige Umbenennung, auch als "Zeichen gegen rechts", gegen "eine wieder ansteigende Fremdenfeindlichkeit in Deutschland". Auf den mit Mehrheit angenommenen Antrag reagierte die Stadtverwaltung nun mit dem Hinweis auf die laufende Untersuchung. Ergebnis und Anleitungen, hieß es vor einigen Tagen im Kommunalausschuss, "werden im Laufe dieses Jahres erwartet". Es kann also gut sein, dass die Neuhauser BA-Mitglieder nicht mehr mit Klebefolie losziehen müssen.