Neuhausen:Leben, das verschwindet

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Zugeklebte Schaufenster, geschlossene Rollladen: Immer mehr Läden im südwestlichen Neuhausen stehen leer. Die SPD will der Situation durch kulturelle Zwischennutzung nun Positives abgewinnen

Von Sonja Niesmann, Neuhausen

Eine Apotheke schließt, in den Räumen macht eine Espressobar auf. Ein Farbengeschäft schließt, die nächste Espressobar öffnet. Ein Sportschuhe-Geschäft gibt auf, jetzt werden dort Döner gebrutzelt. Ein Getränkemarkt schließt, ein Callshop eröffnet. Im Ayurveda-Food-Markt werden jetzt Fahrräder verkauft. Die Beispiele ließen sich noch ziemlich lange fortsetzen: Mehr als 100 solcher Geschäftswechsel und -schließungen in Neuhausen stehen auf Martin Steinlechners Liste. Sie ist ohne Anspruch auf Vollständigkeit, der 39-Jährige hat vor allem das südwestliche Neuhausen zwischen Rotkreuzplatz, Wendl-Dietrich-, Renata-, Arnulf- und Donnersbergerstraße im Auge, wo er regelmäßig unterwegs ist. Wenn man auch die Ebenau, das Kasernenviertel, das Vinzenz-Viertel, Gern und Nymphenburg im Blick hätte, würde die Liste mit Sicherheit ein gutes Stück länger.

Als dem städtischen Beamten, der seit fast zwei Jahrzehnten im Viertel lebt, vor etwa fünf Jahren auffiel, wie stark die Laden-Szene in Bewegung ist, fing er an, das zu dokumentieren: "Ich wollte einfach beobachten, welche Ausmaße das hat und ob da ein qualitativer Abwärtstrend einsetzt." Gemeint ist jene Entwicklung, die schon manch andere Straßenzüge überzogen hat: Handyladen, Dönerbude, Nagelstudio, Friseur. Handyladen, Dönerbude, Nagelstudio....

An manchen Stellen vollziehen sich die Wechsel so schnell, dass Steinlechner schon eine dritte Spalte zufügen musste, für die Nachnachmieter. Aber manchmal gibt es auch gar keinen oder lange jedenfalls keinen Nachmieter. 17 Leerstände verzeichnet die Liste in diesem begrenzten Radius. Seit fast fünf Jahren steht etwa die einst beliebte Metzgerei Moser an der Ecke Schulstraße/Wilderich-Lang-Straße leer. Im Kebab-Laden an der Schulstraße, zuvor eine Filiale von Vinzenz Murr, sind die Schaufenster mit Papier zugeklebt. Im Vollcorner an der Frundsbergstraße sind die Fenster mit großformatigen Plakaten einer Immobilien- Firma blickdicht gemacht. Und ausgerechnet in der Donnersbergerstraße mit ihrem Ruf einer bunten, quirligen Einkaufsmeile passiert man ein aufgegebenes Geschäft nach dem nächsten: das Schuhhaus Raab, daneben ein Obst-und Gemüselädchen, gegenüber die Hausbank, ein Stück weiter das Videostüberl. Und die nächste Schließung steht bevor. "Wir ziehen um" ist in den Auslagen des "Stoff und Wein Kontors" zu lesen; es geht nach Vaterstetten im Landkreis Ebersberg. "Sieben Läden hab' ich in dieser Straße in den zweieinhalb Jahren schließen sehen", sagt die Frau hinter der Theke. Das zieht runter.

An guter Nahversorgung fehlt es in Neuhausen bislang dennoch nicht, das Sortiment ist sogar ausgesprochen breit. Zu einem lebendigen Straßenbild aber tragen blindwerdende, zugeklebte Schaufenster und heruntergelassene Rollladen nicht bei. "In der Donnersbergerstraße ist das wirklich erschreckend", findet auch Anna Lena Mühlhäuser vom SPD-Ortsverein, geschuldet sei das teils wohl auch "den wahnsinnigen Mieten". Die Neuhauser SPD will nun ausloten, ob man dem Leerstand wenigstens etwas Positives abgewinnen kann - durch kulturelle Zwischennutzung.

Das Neuhauser Videostüberl hat geschlossen. (Foto: Florian Peljak)

Zwischennutzungsprojekte ploppen in München inzwischen in vielen Ausprägungen auf. In ganz großem Stil, wie etwa im HVB-Forum an der Kardinal-Faulhaber-Straße oder im Kongresssaal des Deutschen Museums, aber auch in bescheidenerem Ausmaß - von Neuperlach, wo das Künstlerkollektiv "Der blaue Vogel" seit geraumer Zeit das Quiddezentrum, ein ehemaliges Einkaufszentrum, mit Kindertheater, Kunst und Ateliers füllt, bis Pasing, wo sich in dem "Pappschachtel" genannten und inzwischen abgerissenen Flachbau am Marienplatz eine Zeitlang "Flostern" tummelte. Die Gruppe bespielt inzwischen als "Flo**" die frühere Giesinger Stadtbibliothek.

In Neuhausen-Nymphenburg, immerhin der zweitgrößte Stadtbezirk, findet Zwischennutzung bisher eher punktuell statt: fast schon institutionalisiert im Kreativquartier an der Dachauer-/Schwere-Reiter-Straße, in der früheren Nymphenburger Stadtbibliothek nahe dem Romanplatz, die dem Stadtteilkulturverein einige Jahre als Veranstaltungsstätte diente, bis der Pavillon kürzlich abbrannte, oder vor einigen Wochen in der Gabrielenstraße. Dort präsentierte Christoph Nicolaus von "Kunst im Bau" in den Hallen eines ehemaligen Arzneimittelhandels ein buntes, aus Brandschutzgründen allerdings dann abgespecktes Programm mit Ausstellungen, Lesungen, Konzerten.

Der Obst-und Gemüseladen Pfeiffer ist Vergangenheit, wie auch das dahinter liegende Schuhhaus Raab. (Foto: Florian Peljak)

Mit Jürgen Enninger, Leiter des Kompetenzteams Kultur- und Kreativwirtschaft der Stadt München, will der SPD-Ortsverein auf einer Veranstaltung am kommenden Mittwoch diskutieren, wie lokale Politiker und Bürger gegen langfristigen Leerstand vorgehen können, wie und mit welchen Projekten man Gewerbeflächen zwischennutzen könnte. Jürgen Enninger hat bereits verschiedene Zwischennutzungsprojekte in der Innenstadt realisiert.

"Zwischennutzung von leeren Ladenflächen - Wie kann das in Neuhausen funktionieren?"; Mittwoch, 26. April, Neuhauser Augustiner, Hübnerstraße 23, Beginn 19.30 Uhr.

© SZ vom 22.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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