Neuhausen:Das falsche Maß angelegt

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Ein Bauvorhaben bedroht eine 100 Jahre alte Eibe. Obwohl die Genehmigung auf ungenauen Plänen beruht und der Baum schützenswert ist, greift die Stadt nicht ein

Von Sonja Niesmann, Neuhausen

Sabina S. zieht ein bitteres Fazit: "Die Untere Naturschutzbehörde schützt den Baum nicht und konterkariert den Sinn der Naturdenkmalliste." Bewusster Baum, eine prächtige, zwölf Meter hohe, fast 100 Jahre alte Eibe im Garten der Gernerin an der Nederlinger Straße, ragt ins Nachbargrundstück hinüber und ist durch ein Bauvorhaben dort bedroht. Dass Bauherren ihren teuren Grund maximal ausnützen wollen, Nachbarn dagegen um ihr Grün fürchten, kommt häufig vor in dieser Stadt. Nicht immer aber ist die Auseinandersetzung so lange und intensiv: Seit 2015 kämpfen Sabina S. und ihr Mann Jürgen H., unterstützt vom Neuhauser Bezirksausschuss, um ihre Eibe.

Auf dem angrenzenden Grundstück an der Kuglmüllerstraße ist der Neubau von zwei Häusern mit neun bis zu 197 Quadratmeter großen Wohnungen mit Wellnessbereich und Sauna plus Tiefgarage geplant. Eingereicht hat den Antrag ursprünglich Anton Hansjakob, ein renommierter Landschaftsarchitekt, dessen Büro in München schon viele Freiflächen gestaltet hat, unter anderem am Neuen Perlacher Südfriedhof, im Umkreis der Staatskanzlei, an der Berliner Straße und in Freiham. Schon in diesem Bauantrag und der Baugenehmigung sei die Eibe zu klein eingezeichnet gewesen, berichtet Sabina S. Die Krone mit einem Durchmesser von elf Metern erstreckt sich in drei Richtungen einen Meter weiter als in den Plänen angegeben. De facto ragt das eine geplante Gebäude nun einen Meter weit ins Laubwerk hinein, auch wenn es auf den Plänen anders aussieht.

Sämtliche folgenden Baugenehmigungen - das Areal wurde nach dem Tod von Hansjakob an einen Bauträger verkauft - basieren auf den falschen Maßen, auch die jüngste vom Frühjahr 2018, moniert S. Dabei hat das Ehepaar von Anfang an und immer wieder die städtischen Behörden auf die falschen Maße aufmerksam gemacht.

Eine Sachbearbeiterin der Unteren Naturschutzbehörde (UNB) stellte überdies schon 2016 fest, Baukörper und Tiefgarage werden "aus baumschutzrechtlicher Sicht ausdrücklich abgelehnt". Sie wunderte sich, wie "unsensibel" ein einst renommierter Landschaftsarchitekt nun als Bauherr vorgehe: mit einem Antrag auf Rodung von 14 Bäumen auf dem parkähnlich eingewachsenen Grundstück. Was die Eibe betrifft, forderte sie, 1,50 Meter Abstand zur Krone einzuhalten. Wie kommt danach "ein solcher Umschwung zustande?" - das hätte S. gerne erklärt.

Das Ehepaar hat auch selbst mit dem Bauträger gesprochen, um ihn zu bewegen, mehr Abstand zu Krone und Wurzelwerk der Eibe einzuhalten - erfolglos. Sabina S. findet das sogar nachvollziehbar: "Das sind eben Investoren, die das Maximale rausholen, ist ja ihr Recht. Aber dem kann eine Behörde doch entgegentreten." S. hat schließlich eine Beschwerde beim Oberbürgermeister eingereicht - die eben von jener Behörde beantwortet wurde, mit der sie im Clinch liegt. 20 Prozent Abweichung von den tatsächlichen Maßen der Krone seien "insgesamt noch als valide" zu bezeichnen, argumentiert UNB-Chef Ulrich Uehlein. Zudem stünden den Nachbarn zivilrechtlich ohnehin "maßvolle Schnittmaßnahmen" zu. Ein weiteres Abrücken des Baukörpers "ist rechtlich nicht durchzusetzen". Eine ähnliche, aus ihrer Sicht unbefriedigende Antwort hat Anna Hanusch (Grüne) erhalten, die Vorsitzende des Neuhauser Bezirksausschusses, der "völlig unverständlich" ist, wie das alles so laufen konnte und die ebenfalls noch einmal sehr verärgert bei der UNB nachgehakt hat.

Sabina S. und ihr Mann Jürgen H. streiten hartnäckig dafür, dass ein Neubau auf dem Nachbargrundstück den Baum nicht beschädigt. (Foto: Robert Haas)

Sabina S. hat nun Dienstaufsichtsbeschwerde eingelegt. "Ich bin eigentlich keine Eskaliererin", betont sie, aber sie möchte endlich eine Antwort - zum Beispiel darauf, warum die Behörde den Eigentümerwechsel nicht zum Anlass genommen hat, die falschen Maße zu korrigieren. Ihr geht es inzwischen auch ums Grundsätzliche. Die Untere Naturschutzbehörde setze mit ihrem Vorgehen ein "fatales Zeichen": "Der Fall wird Bauträgern künftig als Blaupause dienen."

Seit Februar 2018 endlich steht die Eibe auf Betreiben und hartnäckiges Nachfragen des Bezirksausschusses auf der Vorschlagsliste für Naturdenkmäler, bisher aber hat der Stadtrat die Liste noch nicht fortgeschrieben. Dazu noch einmal Uehlein: "Auf das Bauvorhaben hat dieser Prüfvorgang zurzeit wenig Einfluss." In diesem Monat sollen die Arbeiten auf dem Grundstück an der Kuglmüllerstraße beginnen. Aber wenn der Baum erst einmal kräftig zusammengestutzt ist, wird er wohl kaum noch denkmalwürdig sein, merkt Anna Hanusch in ihrem Brief an die UNB spitz an.

Das Einzige, was Sabina S. jüngst erreicht hat, ist eine Vereinbarung mit dem Bauträger, dass ein von ihr bestellter Gutachter den Baumschnitt beobachten kann - "damit da nicht wild rumgesäbelt wird".

© SZ vom 01.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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