Neue Heimat:Der Biergarten ist ein Freiluftwohnzimmer für alle

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Sobald die Sonne scheint, wird es unter den Kastanien voll. (Foto: Florian Peljak)

Bier trinken unter schattigen Kastanienbäumen macht gute Laune, findet unsere Autorin aus Uganda. Doch auch für die Pflege von Geschäftsbeziehungen eignet sich der Biergarten.

Kolumne von Lillian Ikulumet

Mit den ersten Sonnenstrahlen fließt das Bier unter Münchens Kastanienbäumen. Und zwar wie. Es ist fast, als gehöre Biertrinken zur Tagesordnung der Stadtbewohner dazu. Sobald die Temperaturen steigen, kommt es mir vor, als ob jemand in den Gärten goldene Gläser wachsen lässt. Als wäre es verpflichtend, jeden Tag eine bestimmte Zeit lang in einem Biergarten zu sitzen und mindestens einen Krug zu leeren.

Aber es geht ja hier nicht nur um Bier und Bockwurst. Auf den langen Holzbänken mit den Metallbeinen spielt sich viel mehr ab. Die Menschen strömen ja schon mittags aus den Büros in die Gärten und prosten sich zu. Man trifft hier nicht nur seine Freunde auf ein Feierabendgetränk. Hier versammeln sich auch Kollegen und besprechen den nächsten Deal. Wahrscheinlich werden die großen Geschäfte der Stadt größtenteils unter Alkoholeinfluss gemacht. Offenbar ist das aber gar nicht so verkehrt. München ist ja nicht gerade eine verwahrloste Stadt.

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Biergarteln ist einfach was Feines. Wenn ich dort sitze, mit einem Hendl und dem Ein-Liter-Krug, überkommt mich meist der Drang, auf die Bierbank zu steigen und zu singen und zu tanzen. Mitten am Tag, während einer Biergarten-Besprechung mit Kollegen wäre das aber eher keine so gute Idee. Und auch sonst sieht man das in der Biergarten-Phase eher selten. Die Jahreszeit dafür kommt noch. Anders als ein Festzelt ist ein Biergarten keine Party-Area. Eher ein Freiluftwohnzimmer für alle. Glücklicherweise gibt es in München keinen Mangel an diesen Wohnzimmern, in denen man teilweise gar seine eigene Brotzeit von daheim vertilgen darf, während man dazu ein frisches Hefeweizen schlürft.

Es fasziniert mich immer noch, welche Mengen an Bier in diesem Teil des Landes getrunken werden. Es gilt die Devise: je mehr, desto besser. Wahrscheinlich, weil Bier in Bayern mehr als nur ein Getränk ist. Es ist Ausdruck der nationalen Identität, Geschichte und Tradition. In München ist der kollektive Rausch Teil der Kultur. Es werden gar Bierköniginnen gewählt, die dann nach ihrem Wissen über Bier gefragt werden. Dabei sind sie meist gar nicht so erfahrene Biergartler. Was auch nicht schlimm ist, gerade als Frau hat der Biergarten ja einen großen Nachteil - die überfüllten Damentoiletten. Man muss kein Experte sein, um das zu wissen: Bei kaltem Wetter läuft die Nase, bei kaltem Bier läuft die Blase.

Anfangs war ich ziemlich perplex, mittlerweile bin ich daran gewöhnt, dass meine bayerischen Freunde mir statt Wasser ein Bier anbieten, wenn ich sie besuche. Genau das Gegenteil von dem, was man bekäme, würde man Freunde in Uganda besuchen. Es gibt aber auch eine Parallele: Die bayerische Biergartenkultur erinnert mich an einen Brauch in Uganda. Dort treffen sich die Leute - vor allem Männer - in großen Kreisen unter Mangobäumen. Dann sitzt man beisammen und schlürft mit Strohhalmen das Hirsebier "Ajon-Malwa" aus einem Topf.

Einen Trinkspruch wie "Prost" gibt es, wo ich herkomme, zwar nicht. Dafür braucht es in Uganda einen konkreten Grund für so eine Zusammenkunft - zum Beispiel den Beginn der Erntezeit. Würde man wie in München Sonnenstrahlen als Anlass für Bierkonsum im Freien nehmen, wäre das sicherlich bedenklich. Dann würden die Menschen im sonnigen Uganda nämlich das ganze Jahr durchtrinken.

© SZ vom 27.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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