Nach der Kommunalwahl in Gräfelfing:Ein Mosaik des Scheiterns

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Komplizierte Projekte, ein eher passiver Politik-Stil, die langwierige Suche nach Kompromissen im Gemeinderat und dann noch der Söder-Effekt: Am Tag nach der Stichwahl fallen Kommunalpolitikern aller Couleur viele Gründe ein, warum Uta Wüst das Bürgermeisteramt verloren hat

Von Annette Jäger, Gräfelfing

Nach der überraschenden Wahlniederlage der amtierenden Gräfelfinger Bürgermeisterin Uta Wüst (Interessengemeinschaft Gartenstadt Gräfelfing/IGG) in der Stichwahl gegen Peter Köstler (CSU) stellt sich am Tag nach der Wahl die Frage nach den Gründen für den Amtsverlust. Wüst galt als Favoritin und doch fehlten ihr am Ende 152 Stimmen zum Wahlsieg. Einig sind sich viele Gemeinderäte, dass sich ein "Söder-Effekt" im Wahlergebnis zeigt.

Seitdem Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) für sein Krisenmanagement in der Corona-Krise parteiübergreifend Anerkennung verbuchen kann, hat das Mathias Pollok, Fraktionssprecher der IGG, ins Grübeln gebracht: "Wie wird sich der Trend der Landesebene auf Ortsebene durchschlagen?", fragte er sich im Hinblick auf die Stichwahl in Gräfelfing am vergangenen Sonntag. Bei den Grünen hatte sich dieser Trend in der Vergangenheit deutlich gezeigt: Was auf Landes- und Bundesebene Zuspruch fand, spiegelte sich auch in kommunalen Wahlergebnissen wider.

Insofern war es fast logisch, dass der Söder-Effekt dem CSU-Bürgermeisterkandidaten Köstler Wählerstimmen einbrachte. Davon ist Pollok überzeugt, wie auch viele andere, etwa IGG-Fraktionskollege Wolfgang Balk, Walter Frank (CSU) und Florian Renner vom Bürgerverein Gräfelfing-Lochham (BVGL). Viele Bürger in Gräfelfing beschäftigen sich nicht mit Lokalpolitik, ist Renners Eindruck. Sie gehörten zu den unentschlossenen Wählern, die in der Krise dann eher bekannte und vertraute Parteien wählten.

Das Wahlergebnis war noch gar nichtbekannt, da wirkten Uta Wüst (links) und ihre Familie schon recht bedient. (Foto: Catherina Hess)

Auf kommunaler Ebene habe Wüst zudem die "Stillstandskampagne" der CSU geschadet, da ist sich Gemeinderat Benno Stübner (IGG) sicher. Schon gleich nach der Wahl von Uta Wüst vor sechs Jahren, sei im Ort behauptet worden, dass nun Stillstand angesagt sei, erinnert sich Stübner. Da hatte Wüst als Neuling in der Kommunalpolitik noch gar nicht richtig mit der Arbeit begonnen. "Das hat sich in den Köpfen festgesetzt." Auch Wolfgang Balk kennt den "Stillstands"-Vorwurf: "Das ist schon zur Gewohnheit geworden." IGG-Fraktionssprecher Pollok findet, er sei der Bürgermeisterin wie ein "Etikett" mitgegeben worden. Die CSU habe schließlich ihren Wahlkampf darauf aufgebaut und den Slogan "Gräfelfing kann mehr" zum Programm gemacht. "Was ist das, was Gräfelfing mehr kann?", fragt sich Pollok. Darauf wünsche er sich eine Antwort.

Stillstand könne sie in Gräfelfing nicht ausmachen, sagt Frauke Schwaiblmair, Fraktionsvorsitzende der Grünen/Unabhängige Liste. Manche Themen seien einfach mühsam voranzubringen, wenn äußere Bedingungen schwierig seien. Dazu zählt der Lochhamer Jahnplatz, dessen Gestaltung auch von einem privaten Bauherren abhängt, oder die Entlastungsstraße, die auf Kreisebene keine Zustimmung fand. Auch Florian Renner vom Bürgerverein mag der Bürgermeisterin keine Verantwortung für Stillstand attestieren, er nenne das lieber "zu langsam geleistet". Wüst sei die Themen nicht "proaktiv" angegangen, kritisiert er. Bei manchen Projekten hätte er sich mehr Engagement gewünscht, etwa bei der Geothermie, "das plätschert so dahin". Auch nach der Ablehnung der Entlastungsstraße im Kreistag hätte Wüst aktiver reagieren können, findet er.

Auf der Suche nach Gründen für das Wahlergebnis erinnert CSU-Gemeinderat Walter Frank an die Bürger und ihre Anliegen. Der frühere Einzelhändler ist in Gräfelfing bekannt, und als Gemeinderat wird er immer wieder angesprochen. Seinem Eindruck nach gab es auch unzufriedene Gräfelfinger. "Viele haben sich nicht vertreten gefühlt." Er erinnert an die aufgebrachten Bürger in der Heitmeiersiedlung, als die Bürgermeisterin eine Idee zur groß angelegten Siedlungserweiterung vorlegte, oder an Bürger, die unzufrieden mit der Verkehrssituation am Rathausplatz sind, und andere, die seit Jahren nach Lärmschutz an der Lindauer Autobahn rufen. Hier sei Wüst zu wenig auf die Bürgerwünsche eingegangen, das habe sie sicher Wählerstimmen gekostet. "Sie hat es nicht so schlecht gemacht, aber es war zu wenig".

Gezählt wurde in Gräfelfing wie in Planegg wegen Corona mit viel Sicherheitsabstand. (Foto: Catherina Hess)

Der Eindruck von Langsamkeit in der Projektumsetzung will IGG-Gemeinderat Benno Stübner, der in der kommen Amtsperiode nicht mehr im Gremium vertreten sein wird, nicht gelten lassen. Wüst habe stets den Konsens gesucht, habe dafür Themen nochmals eine Runde länger im Gemeinderat diskutieren lassen, was natürlich auch zu Verzögerungen geführt habe. Themen im "Hauruck-Verfahren" durchzuziehen, wie man es von Amtsvorgänger Christoph Göbel (CSU), dem heutigen Landrat gekannt habe, sei nicht ihr Stil gewesen. Dass Wüsts Vorgehen aber eine Führungskompetenz sei und kein Defizit, sei nie verstanden worden.

Bei der Suche nach Gründen zeichnet sich ab: Eine einzige Antwort gibt es nicht für das Scheitern der amtierenden Bürgermeisterin. Vielmehr ergeben viele Mosaiksteine ein Bild. Und dann spielt noch die Dynamik der Politik selbst eine Rolle. Florian Ernstberger (BVGL), der als Bürgermeisterkandidat die Stichwahl nicht erreicht hat, bringt es auf den Punkt: "Politik kann sehr kurzlebig sein."

© SZ vom 31.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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