Musik in der Manege:Bis die Wände wackeln

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Beatles, Rolling Stones und Muhammad Ali statt Artisten, Clowns und dressierte Tiere: Finanzbuchhalter Hans Schulz öffnete den Circus Krone in den Sechzigerjahren für Konzerte und Boxveranstaltungen. Die Stadt war zunächst nicht begeistert. Die Versicherungen auch nicht

Von Barbara Hordych

Von einer stattlichen Figur kann man bei Hans Schulz nicht unbedingt sprechen. Es gibt ein Bild von ihm aus den Sechzigerjahren, da steht Schulz, heute 87 Jahre alt, zwischen Jack Breston und Chris Taylor. Schaut man den beiden Catchern ins Gesicht, dann ist zwischen den beiden Männern eine Lücke. Erst wenn der Blick nach unten wandert, kommt man zu Hans Schulz, lange Jahre Finanzbuchhalter beim Circus Krone und dementsprechend gescheitelt, Anzug, Krawatte, das Hemd ordentlich gebügelt. Jetzt sind Catcher groß, kräftig und schon von der Optik her Haudegen. Achtet man aber auf Schulz' Gesichtsausdruck, ahnt man schon, dass er auch ein Draufgänger sein kann. 1966 etwa. Da spielten die Beatles im Circus Krone. Und das, obwohl keine Versicherung bereit war, das Risiko für einen normalen Preis zu tragen.

Es war ja auch eine wilde Zeit. Für damalige Verhältnisse. Am 24. Juni 1966 kamen die Beatles jedenfalls nach München, deren Auftritt Schulz einiges an Risikobereitschaft abverlangte. Was wiederum mit den Rolling Stones zu tun hatte. "Sie müssen sich vorstellen, dass bei deren Konzert in Berlin die komplette Waldbühne zerlegt wurde", sagt Schulz. Also machten die Versicherungen ihm für das Beatles-Konzert einen Kostenvoranschlag, bei dem sie davon ausgingen, dass der komplette Zirkusbau zerstört würde. "Das war so viel Geld, dass es die Einnahmen überstieg", sagt Schulz. Also beschloss er, das Ganze ohne Versicherungsgesellschaft durchzuziehen. Auch, weil der damalige Münchner Polizeipräsident Manfred Schreiber zu ihm sagte: "Wir helfen dir, wir sorgen dafür, dass nichts passiert." Schreiber besetzte die ganze erste Reihe komplett mit Polizisten, in schwarzen Hosen, weißen Hemden, schwarzen Krawatten - und somit ohne Uniform. Es ist alles gut gegangen. Bis auf ein paar Sanitätereinsätze, weil weibliche Fans in Ohnmacht gefallen waren.

Hans Schulz erinnert sich. Als der Circus-Krone-Bau 1962 in Stein errichtet wurde, "dachte natürlich noch kein Mensch daran, eine Bühne einzubauen". Schulz, klein, aber ziemlich energiegeladen und redegewandt, sitzt in seinem winzigen Büro im Circus Krone. Am 14. Oktober hat er Dienstjubiläum. Seit 60 Jahren arbeitet er hier. Bis heute als Buchhalter - und 32 Jahre lang als Veranstaltungsdirektor. In dieser Funktion sorgte er dafür, dass sich von 1963 an Spitzensportler wie Muhammad Ali, Catchergrößen wie der Amerikaner Chris Taylor, aber auch Buchautoren im Circus Krone zu sehen waren.

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(Foto: Rainer Schwanke/Archiv Herbert Hauke)

Kleiner Mann ganz groß: Hans Schulz mit den Catchern Jack Breston (li.) und Chris Taylor. Dass viele Stars in den Circus kamen, ist ihm zu verdanken.

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(Foto: Rainer Schwanke/Archiv Herbert Hauke)

Ten Years After, 1972.

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(Foto: Rainer Schwanke/Archiv Herbert Hauke)

Tina Turner, 1974.

Pink-Floyd-Fans zeigen ihre Tickets vor dem Circus Krone, 1970.

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(Foto: Rainer Schwanke/Archiv Herbert Hauke)

Legendärer Auftritt: die Beatles, 1966.

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(Foto: Repro: Simon)

Auch das "Pop-Camp" wurde hier veranstaltet.

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(Foto: Rainer Schwanke/Archiv Herbert Hauke)

Nicht zu vergessen: Led Zeppelin, 1970.

Berühmt geworden ist die Arena freilich als Bühne für internationale Pop- und Rocklegenden, die Musikgeschichte schrieben: Die Rolling Stones traten hier 1965 auf, im Jahr darauf folgten die Beatles, später kamen Pink Floyd, Led Zeppelin, Frank Zappa, Tina Turner und AC/DC. Sie alle genossen diese ganz besondere Atmosphäre, die die Zirkusmanege in den Sommermonaten bietet, wenn die weiß-blauen Krone-Wagen auf Gastspieltournee durch Europa ziehen. Wo im Winter die Raubtiere knurren, die Elefanten tröten und die Artisten unter der Zirkuskuppel schwingen, dröhnten nun die Bässe. "Bei AC/DC wackelten die Wände", sagt Schulz. "Aber sie blieben stehen, der Architekt hatte beim Bau tolle Arbeit geleistet."

Die Stadt München war anfänglich kaum für die neue Konzertbühne zu begeistern. "Die Behörden waren nur schwer zu überzeugen", sagt Schulz. Genauer gesagt, die Lokalbaukommission mit ihren Brandschutzauflagen. Die genehmigte anfangs nur eine Bühne von fünf mal fünf Metern. Sie befindet sich genau dort, wo während der Zirkusvorstellungen der Artisteneingang ist. "Meter für Meter habe ich den Behörden über die Jahre abgetrotzt - heute ist sie fünfzehn Meter breit", sagt Schulz. "Klar fasst die Olympiahalle fünfmal so viele Zuschauer, doch die Künstler liebten es, hier aufzutreten", sagt Schulz. Vor allem schätzten sie die vergleichsweise intime "Club"-Atmosphäre auf einer Bühne, die an drei Seiten offen ist und die Musiker in direkten Kontakt mit dem Publikum bringt. Schulz' Erfahrung: "Entweder die sind vom ersten Ton an drin oder sie schaffen es gar nicht."

Der gebürtige Hamburger kam eher zufällig zum Zirkus. Er arbeitete als Buchhalter in einer Mehlgroßhandlung, als der Zirkus in Hamburg gastierte und ein Stelleninserat schaltete. Schulz erinnert sich: "Der damalige Buchhalter war überraschend abgesprungen, weil er sich entschieden hatte, in Hamburg sesshaft zu werden." Der damals 27-jährige bewarb sich, und Carl und Frieda Sembach-Krone stellten ihn sofort ein - für das doppelte Gehalt. Als er nach Hause ging, sagte seine Frau: "Das ist bombig!" Dass sie das Angebot so schnell und leichten Herzens annahmen und sie auch die Aussicht, fortan in einem Wohnwagen von 2,50 mal 2,50 Meter zu leben, nicht abschreckte, hing mit der Situation der jungen Eheleute zusammen. "Wir hatten im Juni 1956 geheiratet und wohnten in einem Zimmer in der Wohnung meiner Eltern", erzählt Schulz. Da bot der Zirkus eine willkommene Veränderung.

Hans Schulz im Büro mit seiner Schreibmaschine von 1936. (Foto: Johannes Simon)

Als dann ihr erster Sohn unterwegs war, wollte Schulz kündigen, weil sie nicht mit dem Baby im Wohnwagen durchs Land reisen wollten. Doch Carl Sembach winkte ab. "Sie kündigen nicht!" Er bot der jungen Familie eine Wohnung in München an. Schließlich sollte der bisherige Holzbau an der Marsstraße abgerissen und eine Manege aus Stein errichtet werden. Da kam es nur gelegen, wenn jemand Vertrauenswürdiges vor Ort wäre. Und als Sembach Schulz fragte, ob er eine Idee hätte, was man im Sommer mit dem leeren Zirkusgebäude anfangen könnte, hatte Schulz die Lösung.

Die Veranstalter zeigten sich zunächst allerdings skeptisch: Was sollte man schon auf einem Podest von fünf Metern Breite anfangen? Los ging es mit Sportveranstaltungen wie Ringen und Boxen - Schulz war selbst Amateurboxer und hatte sogar einmal gegen den damaligen deutschen Meister im Fliegengewicht gekämpft. "Dieser Amateur-Boxkampf war 1952 die erste Sport-Übertragung des neuen deutschen Fernsehens überhaupt", sagt Schulz.

1963 schlug ihm der Promoter Karl Buchmann eine Musikveranstaltung vor, der Startschuss für das erste Konzert in der Arena war gefallen: Chubby Checker sang "Let's twist again", beide Konzerte ausverkauft. "Da wurden sämtliche Veranstalter hellhörig", sagt Schulz. Seinerzeit gab es ja nicht viel Auswahl in München. P 1 und Big Apple waren recht klein, die alte Kongresshalle wurde für viele andere Veranstaltungen genutzt, die Olympiahalle wurde erst 1972 erbaut. So kamen also im Jahr 1965 im Zuge einer von der Jugendzeitschrift Bravo veranstalteten Konzerttour die Rolling Stones - und ließen es sich nicht nehmen, als sie 2003 wieder nach München kamen, neben ihren Auftritten in der Olympiahalle und dem Olympiastadion als Reminiszenz an damals auch im Circus Krone zu spielen.

Seither hatte Schulz einen immer vollen Terminkalender. Erfindungsreich blieb er weiterhin. Als er beispielsweise 1976 hörte, dass Weltmeister Muhammad Ali zu einem Kampf in die Olympiahalle kommen sollte, fragte er bei den Veranstaltern nach, ob er nicht sein Trainingscamp im Circus Krone aufschlagen wollte. So kam es, dass die Münchner für zehn Mark Eintritt dem Box-Champignon beim Training zuschauen konnten. Am Tag vor dem Wettkampf war der Circus beim "Öffentlichen Wiegen" komplett ausverkauft. Die Fans standen auch auf dem Musikpodium, wo sonst die Zirkus-Combo spielte. Schulz erinnert sich: "Plötzlich sprangen sie runter zu Ali auf die Bühne." Die Bretter krachten zusammen, Ali sackte etwa 1,20 Meter in die Tiefe. Einen Riesenschrecken bekam Schulz, "der musste doch für den Kampf komplett in Ordnung sein". Doch Ali beteuerte ihm: "No, no, I'm okay".

© SZ vom 12.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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