Theater:Visuelles Poem

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Der Abend ist am schönsten, wenn er sich der Macht seiner Videobilder hingibt: Vincent Sauer in Groß und Klein in der Uraufführung "Hyper". (Foto: Gabriela Neeb)

Das Münchner Volkstheater zeigt die Uraufführung von Florian Schaumbergers "Hyper". Das szenische Geschehen ist dabei nicht das Wichtigste.

Von Egbert Tholl, München

Nebenan, im großen Saal, spielt das Kammerorchester Ukraina München ein "Friedenskonzert", die "Freunde des Münchner Volkstheaters" sammeln Spenden für die Not leidenden Menschen in der Ukraine. Die meisten der Musikerinnen und Musiker, die sich 2016 auf Initiative des Komponisten Taras Yachshenko und der Dirigentin Oksana Lyniv zusammen fanden, stammen aus der Ukraine, wegen Putins Angriffskrieg kamen in den vergangenen Tagen neue Kollegen hinzu, die vor Krieg und Verwüstung aus ihrer Heimat flohen. Es gibt viel ukrainische Musik, Dmytro Udovychenko spielt das "Requiem für die Ukraine", ein Geigensolo, das die georgische Violinistin Lisa Batiashvili bei Igor Loboda in Auftrag gegeben hatte, nachdem Putin 2014 die Krim besetzen ließ.

Man hätte all dies gerne gehört, hätte es hören müssen, aber man befindet sich nebenan, in der Bühne 2 des Volkstheaters, in der Uraufführung von "Hyper". Darin gibt es übrigens auch Musik, schnaufende Orgelklänge, komponiert und in ein Sound-Design eingebettet von Benedikt Brachtel, dabei stets präsent und mehrheitlich ohne größeren dramaturgischen Wert, aber seltsam irisierend in der Wirkung. Wie überhaupt der ganze Abend dann am schönsten ist, wenn er sich der Macht seiner Videobilder hingibt und das konkrete szenische Geschehen kaum eine Rolle mehr spielt. Dann befindet man sich in einem visuellen Poem.

"Hyper" ist Florian Schaumbergers erste Regiearbeit

Florian Schaumberger ist ein Videokünstler, "Hyper" seine erste Regiearbeit, das erklärt manches. Erst einmal richtet sich der Schauspieler Vincent Sauer ein, vertreibt mit einem Laubbläser den Bühnennebel, baut sich aus drei Matratzen ein Bett, stellt einen Kühlschrank und ein Tischchen daneben. Sauer ist emsig, bleibt den ganzen Abend so, ein leuchtender, euphorisch interessierter junger Mann, der auch selbst einen Text besteuert, eine kleine Phänomenologie der Orange, die im Stil aus fernen Zeiten herüberweht und den Eindruck erweckt, als habe Sauer einmal damit eine für ihn völlig zwingende Idee verfolgt, diese aber inzwischen wieder vergessen.

Die ersten Worte, die in der Aufführung zu hören sind, stammen von Hölderlin, "Hyperion", und alles, was folgt, ist Variation davon, vor allem bildliche Variation: "Eines zu sein mit Allem, was lebt, in seliger Selbstvergessenheit wiederzukehren ins All der Natur, das ist der Gipfel der Gedanken und Freuden." O selige Natur! Wenn man gerade mit Schneeschuhen in Dunkelheit einen Gipfel bestiegen hat und dort oben den Sonnenaufgang erlebte, versteht man das sofort.

Dazu gibt es Schaumbergers oft fabelhafte Videobilder, leicht manipulierte Realität: eine Wohnblockfassade, ein ähnlich strukturiertes Maisfeld, Schienen, Gemüsekonserven im Regal, wir lieben Lebensmittel. Die Natur ist dem Menschen abhanden gekommen, im Film erobert sie Vincent Sauer zurück, sabotiert im Supermarkt die Künstlichkeit der zu verzehrenden Waren, Heinz Brenner stirbt dort neben ihm und geistert dann nackt durch den Wald, erzählt auf der Bühne von einem Unfall, den er als Filmkomparse in der Natur knapp überlebte. Das letzte Bild ist ein Regenwurm, der Abend schlängelt sich ähnlich eigenwillig.

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