Münchner Momente:Saure Milch im Biomarkt

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Biomärkte vermitteln ein Hoch des guten Gewissens. Doch die Stimmung kann auch umschlagen.

Von Laura kaufmann

Wer im Biomarkt einkauft, der kauft immer auch für sein Gewissen mit. Hier treffen sich die Menschen mit guten Absichten, die sich und ihre Liebsten gesund ernähren wollen, dabei die Umwelt schützen und für all das auch gern ein paar Euro abdrücken. Die Mitarbeiter lächeln so beseelt und grüßen so freundlich, dass man als argwöhnischer Städter erst einmal vermutet, versehentlich in ein Scientology-Zentrum geraten zu sein. Aber schnell lässt man sich fallen und surft auf dem Hoch des guten Gewissens dahin, während man der lächelnden Kassiererin für ein kleines Häuflein feiner Ware ebenfalls lächelnd ein großes Häuflein Münzen entgegenstreckt. Die Dame, die den Bezahlvorgang gerade hinter sich hat, verstaut ihre Lebensmittel jetzt in einer mitgebrachten Stofftasche, und dabei fängt sie ungeachtet der beseelten Umgebung an, lautstark zu fluchen. Bei genauerem Hinsehen offenbart sich der Grund: Die Milchflasche in der Tasche ist irgendwo angeschlagen; der Stoff ist nass und aus der Tasche tropft es milchig auf das Kassenband. Die Frau reißt die Tasche hysterisch hoch, woraufhin sich die Milch auch noch über den Boden ergießt und eine Mitarbeiterin eilt, einen Papierkorb in der Hand, herbei: "Vielleicht könnten Sie die Tasche da herüber halten?" Die Frau entgegnet der nun eher bemüht lächelnden Mitarbeiterin in einem sehr schnippischen Ton, es sei ja wohl schlimm genug, was ihr da gerade für ein Missgeschick passiert sei, und sie möge dafür nicht auch noch blöd angemacht werden. Weiter tropft die Milch über den Boden, die Kundin versucht aus ihrer Tasche zu retten, was zu retten ist, die Mitarbeiterin kommt mit einer Küchenrolle in der Hand wieder. Auf den Knien beginnt sie, die Sauerei aufzuwischen. Die beseelte Stimmung ist nun im Eimer, passiv-aggressiver Stress hängt in der Luft, die jetzt so dick ist wie ein sehr großer Laib Bio-Parmesan. Wo fängt der Umweltschutz an, wo hört die Menschlichkeit auf und andersherum, das sind Fragen, die sich jetzt auftun. Jetzt, wo die Kundin die auf Knien vor ihr robbende, ihr Missgeschick wegschrubbende Mitarbeiterin noch anzickt: "Haben Sie denn keinen Lappen? Da müssen Sie doch jetzt nicht so viel Papier dafür verschwenden!"

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