Münchner Momente:Plündern, aber wo?

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Ein seltsames Graffito mit einer ebenso seltsamen Anmerkung in Daglfing lässt einen ratlos zurück

Von Karl Forster

Man kann das auch so sehen: Verspätete S-Bahnen bringen einen zum Nachdenken. So zum Beispiel neulich in Daglfing, als die S 8 partout nicht kommen wollte. Ratlos schweifte der Blick über das wenig schmucke Ambiente, stoppte kurz, schweifte weiter, schweifte wieder zurück, denn da stand was an der Mauer. "Plündern und Besetzen", ein Graffito wie in guten alten Zeiten. In schwarzbraunen Lettern, einer Farbe, die an Hunde im Rundrückenmodus erinnert oder an Pegida, die sich da rausdrückt. Doch da stand noch mehr. In Rot (Filzstift?) fragte ein offenbar Interessierter: Wo? Wann? Warum? Und mahnte, so wie früher der allwissende Dozent auf der Journalistenschule: Bitte beachten Sie die W-Fragen.

Ja ja, die W-Fragen: Warum versucht sich heute noch jemand an Spontisprüchen? Das war doch was aus den Sechziger- bis Achtzigerjahren. Und was will er ausgerechnet in Daglfing plündern oder besetzen? Die Rennbahn? Früher, also sehr viel früher hatten solche Wandmalereien ab und zu noch Sinn, manche gar sogar Verstand. "Macht kaputt, was Euch kaputt macht" vielleicht oder "Wer zwei Mal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment". Mahnungen solchen Inhalts haben allerdings längst ihren Schrecken verloren in einer Zeit, in der schon 18-Jährige stolz darauf sind, zum Establishment zu gehören, Anzüge beim Abitur tragen und jede Form der Promiskuität für gesellschaftszerstörend halten. Tinder und ähnliche maschinelle Kopulationsvorbereitungseinrichtungen sind denen zufolge jenen überlassen, die jenseits der 35 immer noch keinen Deckel oder Topf gefunden haben. Und auch hübsche Verse von damals wie "Liegt der Bauer auf der Lauer, ist Herr Lauer ziemlich sauer" haben nichts Anrüchiges mehr an sich, seit es "Bauer sucht Frau" gibt.

Aber nun kommt die S-Bahn doch. Und siehe da: Auch sie ist beschriftet, grafisch ein bisschen hübscher, inhaltlich aber ähnlich trostlos. Es wird geworben für ein Seniorenstift, superelegant, mit Balkon und 24-Stunden-Versorgung. Und jetzt wird klar, wer "Plündern und Besetzen" da hingeschmiert hat: ein alternder Daglfinger, der sich solch eine Seniorensuperresidenz nicht leisten kann. Und die W-Fragen? Stammen vielleicht von einem Journalistendozenten.

© SZ vom 11.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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