Münchner Momente:Plakate für das Vanitas-Gefühl

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Sie blicken staatsmännisch dem Betrachter entgegen. Voller Hoffnung und Zuversicht. Vergebens, denn die Wahl ist bekanntermaßen gelaufen. Und so schleicht sich an jeder Straßenecke, an der noch immer ein Parteiplakat steht, eine depremierende Erkenntnis ein: Menschliches Streben ist am Ende doch nichtig

Von Wolfgang Görl

Als der ägyptische Pharao Echnaton starb, beauftragten seine Nachfolger umgehend einen Putztrupp, der möglichst alle Porträts des ungeliebten Herrschers von den Wänden kratzen sollte. Okay, ein paar Selfies, die Echnaton und seine schöne Gattin Nofretete ins Netz gestellt hatten, hat das Wisch-und-Weg-Kommando übersehen, zur Strafe wurde es ja dann auch zum Staubwischen in die Wüste geschickt. Von derlei Schlampereien abgesehen war die Bildbeseitigungsaktion aber vorbildlich, und man wünschte, in München hätte man nur halb so viel Eifer, den Schnee von gestern zu beseitigen. Aber daraus wird nichts, man weiß das aus Erfahrung. Wohl noch Monate werden uns die Plakatständer der Bundestagswahl die Laune vermiesen, an jeder Straßenecke, an jeder Ampel, an jeder Bushaltestelle werden staatsmännisch blickende Kandidaten um Stimmen werben, die man längst abgegeben hat. Bei der CSU haben sie die Inschrift "Danke für ihr Vertrauen" hinzugefügt, obwohl "Danke für ihr Misstrauen" passender gewesen wäre.

Klar, man könnte sagen, es tue der Stadt nur gut, da und dort ein wenig unaufgeräumt auszusehen. Aber müssen es gerade Wahlplakate sein? Da stellt sich sofort so ein Vanitas-Gefühl ein, die deprimierende Erkenntnis, dass alles menschliche Streben am Ende ja doch vergebens und nichtig ist. Am stärksten wird das Gefühl, wenn man auf die SPD-Plakate blickt: die Tausend, der Roloff, der Goodwin, der Post - mit wie viel Hoffnungen haben sie für den Plakatfotografen posiert, und dann diese Schlappe! An so ein Elend möchte man eigentlich nicht erinnert werden, also weg damit. Wahrscheinlich aber bleiben sie die nächsten vier Jahre stehen, damit die Münchner wegen ihrer Wahl ein schlechtes Gewissen bekommen. Aus demselben Grund dürfen dann auch die AfD-Plakate bleiben. Und damit niemand auf falsche Gedanken kommt: Papier, das länger der Sonne ausgesetzt ist, färbt sich von Natur aus braun.

© SZ vom 04.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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