Münchner Momente:Mut und Zumutung

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Volksfeste wie das Frühlingsfest sind Orte, an denen man Mut braucht - in verschiedensten Formen

Von Johann Osel

Der Besuch von Volksfesten hängt traditionell ein bisschen mit der Eigenschaft Mut zusammen. Vergangenes Jahr hat sich das bei der Wiesn unter Beweis gestellt, die ja unter einiger Terrorangst stattfand, was viele Münchner dazu verleitete, bereits den öffentlichen Verzehr eines schnöden Hendls als wahre Heldentat zu zelebrieren. Die Mutfrage greift die Stadt im Internet auf, indem sie dort eine "Mutprobe in Bildern" zeigt. Neben tatsächlich ehrfurchteinflößenden Fahrgeschäften finden sich Fotos des Dosenwurfstands, von Trachtenstrümpfen sowie des früheren Oberbürgermeisters. Der Bildtext klärt dankenswerterweise darüber auf, dass nicht die Anwesenheit von Christian Ude für die Besucher eine Mutprobe darstellte, sondern der Fassanstich für ihn. Auch die kleine Wiesn-Schwester, das Frühlingsfest, erfordert Mut. Zu nennen wäre ein Ding, das die Fahrgäste gefühlt 100 Meter über dem Boden im Kopfstand im Kreis dreht. Nicht vergessen darf man zudem, dass im Hippodrom ein Schnaps namens "Sissi's Haselnussrausch" auf der Karte steht, und eben jener bei mancher Sissi im Zelt längst eingetreten zu sein scheint. Ja, das Volksfest ist ein Ort des Mutes, das stimmt schon. Er kann freilich in ganz vielen Gestalten auftreten.

Anschauungsobjekt an einem Samstag: eine Gruppe junger Männer, gut Anfang 20, dem Dialekt nach mindestens aus dem Umland. Sie haben - es ist bereits kurz vor Zeltschluss - anscheinend sehr großen Durst gehabt, nun stehen sie leicht wankend in einer Ecke, beraten die weitere Abendgestaltung. Plötzlich brüllt einer: "Auf geht's, jetzt misch' ma die Leut' auf!" Er dreht sich um, will sich gleich hineinstürzen in das Getümmel. Aber schon nach ein, zwei Metern knallt der Bursche, von philipp-lahmscher Statur, frontal gegen die Brust eines doch eher stattlichen Zeitungskolumnisten. Der Aufrührer schaut verwirrt, überlegt kurz und ruft dann zu seiner Gruppe: "Auf geht's, jetzt fahr' ma noch was!"

Um diesen Frühlingsfestmut in all seinen Phasen zu deuten, lässt sich das Wörterbuch der Brüder Grimm zu Rate ziehen. Aus Mut wurde hier Übermut, der bei den Grimms definiert wird als "aus Kraft- oder Glücksgefühl entspringende lebhafte Stimmung", aus der sich jedoch rasch "Neckerei" und "Hochmut" entwickeln kann. Der Hochmut wird danach zum Kleinmut, dieser wiederum mündet in den klassischen Mut - beim Kopfstand-Ding in höchsten Höhen wird ihn die Burschengruppe brauchen können. Und hoffentlich bleibt es auch dabei.

© SZ vom 03.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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