Münchner Momente:Kuscheln kostenlos

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Eine Fahrt mit dem neuen Sprinter nach Berlin kann auch Glücksmomente bringen

Kolumne von Vera Schroeder

Dass es seit zehn Tagen überhaupt möglich ist, von München nach Berlin in 3 Stunden 55 Minuten zu kommen, das ist für sehr viele Münchner und sehr viele Berliner ein riesengroßes Glück. Selbst wenn die ersten Sprinter ein paar Minuten Verspätung hatten. Also: Glücksmomente-Sammlungen gegen die Bahnnörgelei, aus und um den neuen Sprinter, Sonntag hin, Dienstag zurück. Fahrzeit hin: 5 Stunden 50 Minuten. Zurück: 4 Stunden 22 Minuten.

Am Bahnsteig in München aufgeregte Geschäftigkeit. Volles Gleis, Zugnummer ICE 1000. Kleiner Junge: "Nummer 1000, weil wir 1000 Stundenkilometer schnell fahren?" - Vater: "Nein, weil Du so ein Tausendschön bist." Im Zug sitzt Tausendschön dann mit Blick auf den Bildschirm, der Strecke und Geschwindigkeit anzeigt. Wie fast alle starrt er unentwegt hin, als der Zug hinter Nürnberg auf die neue Rennstrecke biegt und immer mehr Fahrt aufnimmt. Erst verharrt er eine Weile um die 250 km/h herum. Männer machen Handyfotos der Geschwindigkeitsanzeige. 280. Fotos. Irgendwann 291, Fotos, der Wagen wackelt und dann einmal ganz kurz 301. Nur einer der vielen Fotografierenden hat die 301 im Bild erwischt. Alle sind neidisch auf dieses eine Spitzengeschwindigkeitsbild - bis der Spitzenfotograf die Handynummern einsammelt und das Bild (mit Bahn-Wlan) an die anderen herumschickt.

Im Speisewagen sitzt ein sehr korpulenter Mann und winkt alle weiter, die sich zu ihm setzen wollen. "Zu eng", brummt er nur, und es sieht aus, als könnte er recht haben. Die meisten gehen weiter und murmeln, ob er denn auch zwei Fahrkarten gekauft habe. Irgendwann kommt eine ebenfalls eher breite Frau. Sie setzt sich auf den äußeren Rand, schiebt den Mann in Richtung Fenster, legt ihm den Schokoriegel hin, den die Bahn als Verspätungsentschuldigung verteilt hat, und sagt: "Geh Schatzl, Schoko gegen bissl Ankuscheln?"

Als die Verspätungsuhr kurz vor Berlin +115 anzeigt, kommt die Durchsage, dass der Ticketpreis ersetzt wird. Tausendschön jubelt, Vater stellt fest, dass die Fahrt immer noch kürzer war als früher und mit dem Auto sowieso. Und jetzt auch noch kostenlos! Von den Klimakarmapunkten ganz abgesehen. Der Kollege, der trotzdem geflogen ist, kam übrigens eineinhalb Stunden zu spät ins Meeting. Schneechaos, man kennt das.

© SZ vom 21.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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