Münchner Momente:Fahrgäste, die anpacken

Lesezeit: 1 min

Um den Ruf nahverkehrsreisender Flüchtlinge ist es nicht gerade gut bestellt. Zu Unrecht, wie ein Trambahnfahrer in der Fraunhoferstraße erfuhr

Von Johann Osel

Um den Ruf nahverkehrsreisender Flüchtlinge ist es ja nicht gerade gut bestellt in München, seit im Februar eine Truppe rotzfrecher junger Afghanen in der U-Bahn Fahrgäste angepöbelt und bespuckt hat; ein Video vom Vorfall war regelrecht durchs Netz geschossen. Dass 99 Prozent der Flüchtlinge Busse und Bahnen so unauffällig nutzen wie der stinknormale Normalmünchner, wurde in all dem Erregungstaumel schnell vergessen. Das Gegenteil gibt es freilich auch: positive Aufmerksamkeit. Die "MVG-Medaille für Heldeneinsatz zum reibungslosen Verkehrsverlauf" in Gold - gäbe es sie denn - hätten sich jedenfalls einige Flüchtlinge verdient.

Fraunhoferstraße, die Tram schleicht nächtens durchs Viertel und hält abrupt, vor der offiziellen Haltestelle, auf Höhe des Lokals "Flaschenöffner". Letzteres zu erwähnen ist wichtig, da genau davor - selbstverständlich ausschließlich zur Recherche möglicher Kolumnen - einige SZ-Redaktionsmitglieder stehen und beobachten können, was sich zuträgt auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Da thront ein Bauzaun, eigentlich ist es vielmehr ein Baustellenverschlag aus stolzen acht kleinen Zaunelementen, wild und wackelig zusammengeschustert, anscheinend unverschraubt. Just in dem Moment, in dem sich die Tram nähert, kommt ein kleiner Windhauch und: Knack, Zack, Umpfzzz! Der Verschlag kippt um. Dann, binnen Sekunden: Ein Passant springt zunächst Richtung einstürzende Zaunbauten. Zu schwer für ihn. Die Tram stoppt, der Fahrer eilt hinzu, packt seine zwei Zentner mit hinein in das Bauzaun-Bollwerk. Reicht auch nicht! Dann kommen sie ins Spiel, die Nahverkehrsflüchtlinge, diesmal die guten. Während die münchnerischen Fahrgäste schnöselig auf ihren Sitzen bleiben, steigen drei Schwarzafrikaner schnell aus der Tram, werfen sich mit in die Front. Gemeinsam gelingt es, das Konstrukt wieder in die Senkrechte zu bekommen, Stück für Stück, es wirkt ein bisschen wie Maibaumaufstellen.

Ein umstehender Spötter vor dem Flaschenöffner liefert zwar gleich eine Erklärung für den beherzten Einsatz der Flüchtlinge. Schließlich sei es, wenn sich in deren afrikanischer Heimat Schmalspurbahnen durch die Steppe schlängeln, ganz normal, dass plötzlich ein Nashorn oder Elefant im Weg stehe und die Fahrgastgemeinde zum Verscheuchen des Tieres aussteigen müsse. Man kann aber auch schlichtweg feststellen: Es ist schön, dass gerade diese Fahrgäste anpacken bei Problemen. Nun gut, freilaufende Wildtiere sind in der Isarvorstadt eh selten anzutreffen - schlampig gesicherte Baustellen sind aber offenbar üblich.

© SZ vom 22.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: