Münchner Momente:Ein Gläschen zu viel

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Kinder und Betrunkene haben so manche Gemeinsamkeit - allerdings fehlt den einen eine plausible Ausrede für ihr Verhalten

Kolumne von Julia Bergmann

Sie bewegen sich taumelnd fort und man versteht ihre Aussprache oft nur schlecht - Kinder und Betrunkene haben so manches gemeinsam. Vor allem sagen sie einem gerne die schonungslose Wahrheit über alles, was man niemals wissen wollte. In der Öffentlichkeit und lautstark. Bei Kindern ist das ungleich schlimmer, denn die haben nicht einmal eine plausible Ausrede parat. Zum Beispiel im Supermarkt. An der Kassenschlange wartet vor dem Kind ein korpulenter Mann, und mit dem Stimmvolumen eines Elefanten fordert der Nachwuchs Informationen ein: "Duhuuu, wann kommt denn das Baby von dem Mann da?" Es sind Momente wie diese, in denen sich Eltern ein geräumiges Erdloch zum Verkriechen herbeisehnen. Man kann den Fauxpas ja schlecht damit beiseite wischen, dass der Kleine mal wieder ein Gläschen zu viel hatte.

Weil Kindern Konzepte wie Höflichkeit und Etikette in der Regel schnurz sind, setzen sie gerne noch eins drauf und garnieren ihre Weisheiten mit einem unschuldigen Lächeln. Wie neulich in der Trambahn, Linie 25. Der Zug setzt sich an der Tegernseer Landstraße in Bewegung, das Grünwalder Stadion schon in Blickweite zweier Mütter. "Mensch, die spielen doch da jetzt wieder, na, die... wie heißen sie wieder?", will die eine wissen. Das Kind quakt dazwischen "Die Löwen, Mama!" Während die Mütter noch rätseln, wie das doch gleich wieder war, mit den Sechzgern, mit dem Abstieg, der Schmach, der Rückkehr ins Grünwalder und wo, also in welcher Liga, die denn nun gerade spielen, grollt durch den Wagen ein theatralisches Stöhnen der Tochter. Ausdruck der Verzweiflung über die Ahnungslosigkeit der Mutter.

Ein Fahrgast folgt der Unterhaltung aufmerksam. "Ich glaube, die spielen jetzt in der zweiten Liga", setzt die Mutter wieder an. Der Lauscher wird unruhig. Aber noch bevor er eine Chance hat, ins Gespräch einzusteigen, erfüllt die Mädchenstimme wieder den Waggon: "Dritte Liga, Mama, die spielen in der dritten." Der Mann nickt. Lächelt. Genauso wie das Mädchen. Dann trifft den mutmaßlichen Löwen-Fan der Nachsatz: "Weißt du Mama, die sind wirklich sehr, sehr schlecht." Darauf erst mal ein Gläschen!

© SZ vom 05.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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