Münchner Momente:Cool, cooler, Isar

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Gut, es gibt die Favoritbar. Aber spätestens am zweiten Abend wusste der Münchner nicht mehr, was er seinem Besuch aus Berlin vorführen sollte. Bis, ja, bis da diese Märchenwelt im Viehhof entstand

Von Lisa Schnell

Wenn früher Besuch aus dem coolen, coolen Berlin kam, vor allem von denen, die nicht müde wurden zu betonen, wie cool, cool Berlin sei, da hoffte man insgeheim, sie würden nur eine Nacht bleiben. Zum einen, weil man die Konversationen leid war: "Nein, im Englischen Garten gibt es keine spontanen Techno-Partys. Ja, hier meinen sie das ernst mit dem Rauchverbot. Ja, auch mit der Ruhestörung vor den Bars. Nein, das ist wirklich nur eine Vorspeise. Ja, die kostet so viel." Zum anderen, weil man nicht wusste, wo man sie in der Nacht hinschicken sollte. Gut, es gibt die Favoritbar. Da bröckelt der Putz so von den Wänden, sind die Klos so eng, die Musik so underground, die Dichte an Hipsterknödeln und Röhrenjeans so hoch, dass selbst vom überzeugtesten Berliner ein "Nicht schlecht für München" zu erwarten ist.

Nur, wohin in der zweiten Nacht? (In Berlin macht man das so, mehrere Nächte hintereinander ausgehen, auch wenn man nicht mehr 19 ist. Viele Menschen in jedem Alter haben da viel Zeit.) Früher: große Ratlosigkeit. Jetzt gibt es den Bahnwärter Thiel. Der Platz in München, wo München nicht München ist. So schwärmt zumindest ein Berliner, der gerade nach München gezogen ist. Schweren Herzens saß er im Flugzeug, da erzählte sein Sitznachbar von diesem Club. Kaum in München angekommen, trieb ihn sein Heimweh direkt vom Flughafen in die Arme des Bahnwärters Thiel. Und wirklich, er fühlte sich dahoam in Berlin: verspielte Hippie-Lampen, der Imbiss ein Gauklerwagen. Ein alter Eisenbahnwaggon hinter der Tanzfläche mit alten Telefonen. Es klingelt. Man nimmt ab. Hallo? Hallo? An beiden Enden Verwunderung. Da ist ja jemand dran?! Nur wer? Verrückt. Und das in München. Dazu noch Techno, Menschen, die tanzen wie Duracellhasen, das Lächeln scheint unendlich, ihre Energie auch. Eine Märchenwelt, in der man vergisst, dass es ein Morgen gibt. Hier sind die Berliner Freunde gut aufgehoben. Und im Sommer, wenn es den Bahnwärter Thiel wohl nicht mehr gibt, kann man mit den Besuchern ja wieder an die Isar. "Die sind ja alle nackt!", entfährt es da manch ach so liberalem Berliner. "Klar", kann der Münchner dann sagen und sich auch mal ein bisschen cool fühlen.

© SZ vom 14.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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