Münchner Momente:Aufgetautes zum Abendmahl

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Ein Tag ohne Strom hat auch so seine Reize - gerade im Winter

Glosse von Andreas Schubert

Zu den unumstößlichen Wahrheiten des Lebens gehört die Tatsache, dass der Strom so selbstverständlich aus der Steckdose kommt wie das Wasser aus dem Hahn und die Milch aus dem Tetrapak. Woher auch sonst? Aber manchmal weigern sich die Steckdosen eben, den versprochenen Strom auszuspucken, was zum Beispiel dem Wecker gar nicht gefällt, dem Arbeitgeber sowieso nicht, wenn man dann verpennt hat. Der Eisschrank reagiert seinem Naturell entsprechend erst mal cool, sofern die Steckdosen nach ein, zwei Stunden ihr bockiges Verhalten wieder sein lassen. Nur wenn's länger dauert, fängt er irgendwann verärgert an, Wasser zu lassen.

Dass die Lampen mit den Steckdosen einen Solidaritätspakt abgeschlossen haben und aus Bosheit dunkel bleiben, ist altbekannt. Doch dass die Heizungen da auch mitspielen und kalt bleiben, lernt so mancher erst dann, wenn er im Winter vor sich hinfrierend im Home-Office hockt und wegen des Strommangels keine Office-Arbeit machen kann, sie aber eigentlich machen sollte, weil das beim Arbeitgeber sonst ähnlich gut ankommt, wie ein stromloser Arbeitnehmerwecker.

Ein Stromausfall ist an sich kein Weltuntergang. Der freundliche Herr an der Stadtwerke-Hotline beruhigt, man werde den Schaden "schnellstmöglich" beseitigen. Als er aber erklärt, unter der Straße in der Isarvorstadt sei ein Kabel kaputt, lernt man rasch, dass "schnellstmöglich" immer auch eine Frage der Definition ist. Man sieht bald die SWM-Leute mit dem Bagger den Bürgersteig aufgraben, zwischendurch ist der Strom wieder da - und kaum sind alle Uhren wieder gestellt und der PC hochgefahren - auch gleich wieder weg. Aber wenigstens kann man ja duschen, glaubt man. Ein bisschen Solo-Romantik mit Kerzenlicht hat auch was für sich - erst recht mit kaltem Wasser. Bis der Strom dann am frühen Nachmittag wirklich wieder da ist, Heizung, Kühlschrank und Computer wieder anspringen, hatte man in der Zwischenzeit Muße, sich das Abendmenü auszudenken. Es gibt Aufgetautes: Meeresfrüchte mit Bolognesesoße an Rahmspinat mit Asia-Gemüse und Rinderroulade.

© SZ vom 08.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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