Münchner Momente:Abheben, ganz natürlich

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Ausgerechnet die Flugschulen dürfen nun wieder aufmachen. Dabei gibt es gar keinen Grund, sofort wieder das Weite zu suchen

Glosse von Thomas Anlauf

Halt, hiergeblieben! Kein Grund, ausgerechnet jetzt das Weite zu suchen Richtung lange Zeit unerreichbarer Sehnsuchtsorte. Nachdem das Virus Wirtschaft und Wohlstand hierzulande zu Boden gezwungen hat, müssen wir nun alles dafür tun, dass München bald wieder blüht und gedeiht. Drei Vorschläge: Erst einmal schnell ein gutes Buch im endlich wieder geöffneten Buchladen kaufen. Vielleicht die Biografie von Jens Spahn aus dem Jahr 2018, als er noch nicht der Corona-Jens war. Danach schnell in einen Blumenladen (ebenfalls seit diesem Montag wieder offen) und mit einem Strauß kenianischer Billigrosen die Liebste erfreuen und sie nebenbei mit der Neuigkeit überraschen, endlich ein Überflieger zu werden. Der Kurs bei der Münchner Flugschule (tatsächlich, seit Montag geöffnet) ist schon gebucht.

Dass ausgerechnet Flugschulen nun trotz Corona-Pandemie wieder ihren Betrieb aufnehmen dürfen, ist an sich ziemlich clever, weil derzeit sonst fast keine Flieger am Himmel schweben. Da können nun Hunderte potenzielle Piloten mal schnell beinahe gefahrlos abheben. So ein Kurs dauert auch nur ein paar Monate, also etwa bis zum nächsten Lockdown, und kostet lediglich ungefähr 10 000 Euro. Die hat man sich ja locker während der monatelangen Kurzarbeit angespart. Solche Öffnungsfantasien, wie sie nun Wirklichkeit werden, können eigentlich nur von den Verkehrsministern Andi Scheuer (Bund) oder Kerstin Schreyer (Bayern) stammen, die mit der Flugschulöffnung sicherlich ihrem einstigen CSU-Chefpiloten Franz Josef Strauß gedenken wollen. Der brachte bekanntlich seine Fluggäste ins Schwitzen, etwa als er einst im Schneetreiben fast ohne Sprit auf dem gesperrten Moskauer Flughafen landete.

Nun ja, der Münchner Franz-Josef-Strauß-Flughafen liegt seit Monaten auch im Dornröschenschlaf. Doch dort, wo vor drei Jahrzehnten ein Teil des Erdinger Mooses trockengelegt wurde, um Abermillionen Menschen in exotische Landschaften zu fliegen, regt sich was. Dort landen derzeit zittrige Zitronenfalter auf den fast verwaisten Pisten. Und dort hinten im Gebüsch - war das womöglich das Heulen eines Wolfes? Ja, die Natur hat sich in der Pandemie wieder einen Platz gesucht. Wer weiß, vielleicht haben sich auch die Münchner in all den Monaten ohne Urlaub, ohne Biergarten- und Kinobesuchen ein wenig verändert und werden, wenn es denn irgendwann wieder wirklich erlaubt ist, nicht gleich in einen Billigflieger in den Süden steigen. Der Wolf übrigens ist bislang noch nicht am Flughafen im Erdinger Moos angekommen. Zuletzt wurden Spuren von ihm bei Odelzhausen im Landkreis Dachau entdeckt. Vermutlich wartet er dort gerade auf die nächste S-Bahn zum Münchner Hauptbahnhof.

© SZ vom 09.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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