Münchner Momente:Der Schein der Scheine

Lesezeit: 1 min

Wenn Kartenlesegeräte plötzlich streiken, erlebt die klassische Geldklammer eine Renaissance. Damit lässt sich auch viel schöner angeben.

Glosse von Stephan Handel

Hätte vor 30 Jahren ja auch niemand geglaubt: Dass heutzutage praktisch jedermann/frau ein kleines Kästchen mit sich herum trägt, und wenn man an den richtigen Stellen draufdrückt, kommt jemand vorbei und bringt Pizza. Das ist das Erstaunliche an der Digitalisierung - es werden heute Dinge für selbstverständlich genommen, die vor nicht allzu langer Zeit als Hexenwerk gegolten hätten.

Da fällt es natürlich umso mehr auf, wenn das Selbstverständliche plötzlich nicht mehr funktioniert. Bundesweit hängten zum Beispiel in diesen Tagen Läden Zettel an die Tür: "Derzeit keine Kartenzahlung möglich." Dass das Dilemma seine Ursache in veralteten Lesegeräten hatte, für die es schon seit 2018 keinen Support mehr gab, die aber trotzdem gerne gekauft wurden, weil sie (eben deswegen) so schön billig waren - das ist dann eigentlich schon wieder lustig.

Gar nicht lustig fanden das selbstverständlich Münchner Sonnenbrillenträger: Wie, keine Kartenzahlung? Nur bar? Wie so ein Aldi-Kunde? Ein dickes Leporello mit mindestens zehn unterschiedlichen Karten ist in unserer kleinen Stadt ja gewissermaßen die Zugangsvoraussetzung in manche Kreise. Und jetzt sollten die Herrschaften nach Zehnerln und nach Fünferln kramen wie die Seniorinnen an der Supermarktkasse mit ihrem "Moment, ich hab's recht"-Generve?

Das war natürlich schon allein aus Gründen der Distinktion nicht möglich. Plötzlich konnten sich Angestellte in Einzelhandel und Gastronomie über exorbitante Trinkgelder freuen - denn bezahlt wurde grundsätzlich mit Scheinen und auf das Wechselgeld verzichtet, schon allein, weil die vielen Münzen die Hosentaschen unvorteilhaft ausbeulten.

Apropos ausbeulen: Noch die schlankeste Geldbörse stört die Körperlinie, wenn sie in die hintere Hosentasche gestopft wird. Glücklicherweise kam die Erinnerung an eine silberne Tiffany-Geldklammer, die es vor einigen Jahren als Give-away bei einem Event gegeben hatte. Sie hat im Übrigen den Vorteil, dass, wenn sie gezückt wird, der komplette mitgeführte Bargeldbestand des Besitzers präsentiert wird, was bei einem Portemonnaie nur durch die Inszenierung fragwürdiger Geschichten möglich gewesen wäre ("Wie viel hab' ich denn noch? Vielleicht muss ich doch noch zum Geldautomaten?")

So versöhnten sich die Schickis im Lauf der Zeit doch noch mit dem guten alten Bargeld. Und als die Kartenlesegeräte wieder liefen, entschieden sie, künftig ihre Kreditkarten in der Geldklammer mit sich zu führen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: