München:Zeitreise im hohen Gras

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Julia Loibl und Theresa Hanich vom Theater "Mathilde Westend" entführen ihre Gäste bei einem Hörspaziergang durch den Westpark ins 19. Jahrhundert - und rücken dabei die Frauen in den Vordergrund

Von Lea Hruschka

Schon der erste Satz zeigt, worum es an diesem Morgen geht: "Ich liebe meinen Garten", ertönt es aus den Kopfhörern, während Susanne Wieser an einem Meer aus Margeriten, Hibiskus und Flieder im Westpark vorbeischlendert. Neben ihr lauschen fünf weitere Spaziergänger gebannt dem Hörbuch zum Roman "Elizabeth und ihr deutscher Garten" von Elizabeth von Arnim. Die Stimmen, welche die Geschichte aus dem 19. Jahrhundert erzählen, gehören Julia Loibl und Theresa Hanich.

Zu entdecken gibt es beim Hörspaziergang einiges. (Foto: Robert Haas)

Blaue Gummistiefel, geblümte Regenjacke, die braunen Haare hochgesteckt - die beiden Schauspielerinnen tragen heute, auch wenn das keine Theatervorführung ist, ein "Kostüm", wie sie es nennen. Zwischen Reifenschaukeln und Rosengarten warten sie dann, bis die Teilnehmer ihr Hörbuch beendet haben. Zuvor hatten sie MP3-Player, eine Karte mit rosa markiertem Weg, rosa Limonade und petrolfarbene Kopfhörer an ihre Gäste verteilt. "Wir wollten eigentlich pinkfarbene, aber die waren zu schlecht", meint Hanich mit einem Lachen.

So geht's: Zu Beginn verteilt Theresa Hanich (rechts) MP3-Player, Kopfhörer sowie Wegbeschreibungen und gibt eine kurze Einweisung. (Foto: Robert Haas)

Eine passendere Kulisse als den blühenden, großzügig bemessenen Westpark hätten sich die Organisatorinnen nicht aussuchen können. Denn Elizabeth, die Protagonistin des Romans, verspürt das Verlangen, aus ihren Pflichten als Ehefrau auszubrechen, nach draußen zu gehen und in der Erde zu wühlen. Kaum verwunderlich, stellt ihr Mann, den sie immer als "den Zornmütigen" bezeichnet, doch Frauen auf eine Ebene mit Kindern und "Schwachsinnigen".

Aus Angst um ihren Ruf schleicht sich Elizabeth vorerst heimlich mit Spaten und Erde hinaus in den Garten, bis sie mit der Zeit eine Idylle aus Tulpen, Astern, Nachtviolen und Stiefmütterchen erschafft. Während die Teilnehmer also von Elizabeths buntem Garten, Fröschen und Eulen hören, spazieren sie selbst durch die Blütenpracht im Westpark und sehen dabei nicht nur Enten, sondern auch hoppelnde Kaninchen.

Die Utensilien für den Hörspaziergang. (Foto: Robert Haas)

Normalerweise ist die Kulisse bei Hanich und Loibl eine andere: In Hanichs Theater "Mathilde Westend" spielen die beiden auf 15 Quadratmetern Theaterstücke. Erste Überlegungen zum neuen Outdoor-Projekt "Mathilde Westpark" haben Anfang 2020 begonnen, als Hanich beim "Markt der unabhängigen Verlage" auf den Verlag "Edition fünf" aufmerksam geworden ist. "Edition fünf" verlegt nur Bücher von Frauen, das "Mathilde Westend" spielt nur Stücke von Frauen - das passt gut.

(Foto: Robert Haas)

Im April dieses Jahres begann Hanich also, den Text zusammen mit Julia Loibl zu kürzen, "den Kern herauszuschälen", wie diese sagt. Aus Kostengründen ging es dann nicht in ein Tonstudio, sondern in Hanichs Privatwohnung.

"Ein Problem waren die Kirchenglocken", erinnert sich Loibl und lacht. Bei einer "Nachtschicht" haben sie das 90-minütige Hörbuch schließlich eingesprochen, damit keine Geräusche aufs Band kommen, die dort nichts zu suchen haben. Für die Musik, die zwischen den gelesenen Passagen zu hören ist, war Theresa Hanichs Bruder Philipp Hanich zusammen mit Loibls Ehemann, dem Komponisten Lukas Rüdisser, zuständig. "Wir wollten etwas Erbauliches, nichts Drückendes machen", erklärt Loibl. "Der Text, der leichtfüßig daherkommt und Inhalte vermittelt", hat Hanich und Loibl gefallen - Inhalte, die nicht nur im Erscheinungsjahr 1898, sondern auch heute noch aktuell sind: Dass ausländische Arbeiter mit wenig Lohn ausgebeutet werden. Dass Arbeiterinnen bei gleicher Arbeit sogar noch weniger bekommen. Dass schon kleine Mädchen damit leben müssen, dass andere ihr Aussehen vergleichen.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erkunden die Blütenvielfalt und -pracht des Westparks. (Foto: Robert Haas)

Was Elizabeth über Kinder oder die Gender Pay Gap denkt, also die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen, hören an diesem Morgen die Teilnehmer des Hörbuchspaziergangs. Beim Satz "Einen Ehemann kann jeder haben, aber nur wenigen ist es gegeben, einen weisen zu haben, beides in Verbindung ist so selten wie nützlich", müssen viele schmunzeln. Den kleinen MP3-Player an den Taschengurt geklemmt, spazieren sie dabei durch den Rosengarten, um den See, an den Schwänen und Enten vorbei, halten auf Bänken inne oder fotografieren das Blütenmeer des Westparks.

"Es war wie auf Reisen", meint Susanne Wieser am Ende der Tour. Sie konnte die Kinder, die lautstark an den Reifenschaukeln tobten, und den Alltag, der zu Hause wartet, ganz ausblenden. Auch Christian Schumacher, einziger Mann in der Runde, sagt, er habe so den Weg, den er täglich beim Gassi gehen mit seinem Hund entlangläuft, neu entdecken können. Er betrachte ihn nun mit anderen Augen.

Wer den Westpark ebenso kennenlernen will, kann den Hörbuchspaziergang noch bis zum Dienstag, 17. August, erleben. Auch von 7. bis 17. Oktober stehen sechs Tage zur Auswahl. Danach wollen die Schauspielerinnen wieder zurück in ihr kleines Theater: Ein Stück über Sofja Tolstaja, die Ehefrau von Lew Tolstoi, wird wieder eine Frau in den Mittelpunkt stellen. Im Frühling des kommenden Jahres soll der Hörbuchspaziergang dann wieder zurück in das Programm des "Mathilde Westend" kommen.

Tickets für die aktuellen Termine gibt es online unter www.mathilde-westend.de. Die Teilnahme kostet 28 Euro. Am Ende erwartet die Teilnehmer auch ein kleines Geschenk, passend ziert selbst die Geschenktüte ein rosa Blumenmuster.

© SZ vom 07.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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