München:Unterwegs im Dienste des Herrn

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Pfarrer Johannes Kurzydem steht fünf Pfarreien im Münchner Norden vor, verantwortet vier Kindergärten und einen Hort, ist Chef von 90 Angestellten. Jede Minute ist getaktet - und erfüllt ihn dennoch mit großer Freude

Von Simon Schramm

Pfarrer Johannes Kurzydem musste in diesem Jahr eine Entscheidung treffen. Entweder er übernimmt die Leitung von gleich zwei Pfarrverbänden oder aber er verwaltet einen der beiden nur übergangsweise. Kurzydem hat sich für ersteres entschieden. "Bevor ich das nur kommissarisch übernehme, mache ich es einfach ganz. Ich will nicht nur vom Schreibtisch aus arbeiten. Ich habe eine große Zuneigung zu Menschen und will ihnen nahe bleiben." Um sich diesen Wunsch zu erfüllen, stellt sich Kurzydem nun einer Mammutaufgabe.

Ein Teil dieser Aufgabe heißt, präsent sein. Jeden Donnerstag nachmittags um halb drei geht Johannes Kurzydem die Treppe hinauf in den Pfarrsaal im ersten Stock der Sankt-Johannes-Evangelist-Kirche am Lerchenauer See. Auch an diesen Tag im Dezember trifft der Pfarrer dort auf eine Gruppe älterer Damen, es duftet nach Kaffee, es wird gekichert, es gibt Kuchen. Seniorennachmittag. Kurzydem begrüßt jede der Damen persönlich: "Hier ist vor allem die erste Generation der Gemeinde anwesend, als die Kirche vor 48 Jahren gegründet wurde." Kurzydem setzt sich, lässt sich den Kuchen schmecken, führt Gespräche, leert die Kaffeetasse. "Ich bleibe nicht lange, habe ja noch Termine."

Er ist an diesem Tag früh um fünf aufgestanden. Wie in der Adventszeit üblich, leitete er in Feldmoching bereits um sechs Uhr einen frühen Rorate-Gottesdienst, gefolgt von gemeinsamem Frühstück. Um acht Uhr ging es im Pfarrbüro von Sankt Agnes mit den Absprachen für die Weihnachtsmesse weiter, anschließend musste er nach Sankt Matthäus im Hasenbergl - "Bürosachen besprechen". Um halb eins ist Kurzydem zurück nach Feldmoching, "da habe ich schnell etwas gegessen". Dann ab in die Siedlung am Lerchenauer See.

Johannes Kurzydem, 59, leitete bereits den Pfarrverband Feldmoching-Fasanerie, seit November obliegt ihm zudem die Führung des Pfarrverbandes Sankt Agnes und Sankt Matthäus. Er ist somit für fünf Pfarreien im Münchner Norden verantwortlich, steht vier Kindergärten und einem Hort vor, ist Vorgesetzter von 90 Angestellten und arbeitet mit Hunderten Ehrenamtlichen zusammen. Er hält Gottesdienste in fünf Vierteln, absolviert Beerdigungen, Taufen und Trauungen. Seine Gemeinden umfassen insgesamt etwa 16 000 Menschen. Als Dekan für das Gebiet München-Feldmoching berichtet Kurzydem dem Münchner Erzbischof außerdem auch über die Gemeinden Karlsfeld, Unter- und Oberschleißheim: "Meine Tage beginnen meist um 6 Uhr und hören um 22 Uhr auf."

Der Geistliche, mittlerweile zur Verschnaufpause im Büro, wendet sich entschieden gegen Aufgeben oder Jammerei. Als Leiter einer Gemeinde hat er zwei Aufträge: theologische Führung und Verwaltung einer Institution. Schon als Kurzydem den ersten Pfarrverband übernahm, erkannte er, dass er seiner Kernaufgabe, die Seelsorge, immer weniger nachkommen konnte: "Die Bürokratie ist gewachsen." Mit dem Ordinariat hat er darum die neue Stelle des Pfarrverwalters entwickelt, der ihm seit einiger Zeit viele Aufgaben abnimmt: die Organisation von Vorstellungsgesprächen etwa, die Übersicht bei Baustellen an den Kirchen, Personalführung. Darum schreckte Kurzydem auch nicht davor zurück, den Pfarrverband in Lerchenau und Hasenbergl zu übernehmen. Dort konnte man wegen des allgemeinen Pfarrermangels keinen Nachfolger finden.

Unterstützung hat Kurzydem auch bei der Kindergartenverwaltung und durch ein Pastoralteam bei der Seelsorge. Er setzt auf Struktur und auf seine Mithelfer: "Jeder hat seine Verantwortung. Wir sind gemeinsam auf der Suche nach dem richtigen Weg. Ich bin so ein Charakter, sehe immer das Positive."

Das Buch des Propheten Jesaja gehört zu den längeren Schriften im Alten Testament, der Text begleitet Kurzydem seit seinem Studium. Im neuen Pastoralkonzept, das man als Leitlinie für die theologische Arbeit der Kirchengemeinden bezeichnen kann, steht das Buch nun im Mittelpunkt. Zentrales Zitat der Schrift: "Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, mein bist du", rezitiert Kurzydem, "Gott sagt zu jedem: Ich habe dich erschaffen, jeder ist willkommen."

Blick auf die Uhr, halb fünf, der nächste Termin. Mit einem angehenden Pastoralreferenten spricht er über dessen Auftreten, über seinen Umgang mit den Menschen und darüber, wie der junge Kollege predigt. Mentor sein - noch eine Aufgabe.

Johannes Kurzydem ist seit 35 Jahren Pfarrer, ist in Oberschlesien aufgewachsen und hat in Krakau studiert. "Beim Erdkunde-Studium habe ich gemerkt, dass ich doch nicht nur Lehrer werden will. Theologie hat mich gereizt, und nach München hat mich der Zufall gebracht." 1988 wanderte er aus zu seiner Familie an den Niederrhein. Ein Freund erkundigte sich bei einem Kardinal, wo Kurzydem arbeiten könnte. Der schlug München vor - und als erste Station tatsächlich Sankt Johannes. Nach weiteren Stationen kehrte er 2000 nach München zurück.

Am Abend dieses Dezembertages begibt sich Kurzydem in die Kapelle von Sankt Johannes zu einer Adventsandacht mit der Pfarrgemeinde, wieder bezieht sich der Pfarrer auf das Buch Jesaja. "Diese Verse gehören für mich zum schönsten, das ich kenne, gerade in dieser Zeit, in der es so viel Unruhe gibt." Kurzydem ist der Meinung, dass die Gesellschaft rastloser geworden ist, die Anforderungen sind in seinen Augen gestiegen, die Kirche muss als Gegenpart Ruhe anbieten. Jesajas Botschaft: "So wie du bist, liebt dich Gott. Für jeden steht die Tür der Kirche offen". Das lebt Kurzydem.

Die letzte Station des Tages ist der Pfarrgemeinderat. Wie kriegt man bei soviel Arbeit eigentlich den Kopf frei? "Ich habe selber Fußball gespielt und bin immer noch Fan. Ich schaufele mir Zeit frei und gehe, wenn möglich, ins Stadion." Kurzydem unterhält sich mit seinen Kollegen, noch im Büro aber gesteht er ein, dass er nicht mehr lange kann, der Kopf sei "satt". Jetzt braucht er ein wenig Zeit für sich. Es scheint, als mache er sich kein Kopfzerbrechen darüber, wie viel am nächsten Tag wieder ansteht: neben anderem ein Gottesdienst in St. Christoph, Büroarbeit in Feldmoching, zwei Adventsfeiern.

© SZ vom 23.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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