Integration:Mit welchen Problemen Ukrainer auf dem Arbeitsmarkt zu kämpfen haben

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Margarita Pavliuchenko ist Ärztin aus der Ukraine und wurde jetzt vom Jobcenter an eine Klinik vermittelt. (Foto: Robert Haas)

Viele Geflüchtete wie die junge Ärztin Margarita Pavliuchenko wollen möglichst bald selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen, doch sie scheitern häufig. Wie die Integration gelingen kann - und wie das Jobcenter dabei hilft.

Von Sven Loerzer

"Ich hatte viel Glück", sagt Margarita Pavliuchenko, denn inzwischen kann sie wieder in ihrem Beruf arbeiten. Allerdings noch nicht, wie in Odessa, als Fachärztin für Allgemeinmedizin. Denn in ihrer Heimat, der Ukraine, dauert die Facharztweiterbildung nur zwei Jahre, hier sind es fünf Jahre. So ist die 28-jährige Medizinerin, die jetzt mit ihrem Mann und ihrer Mutter in München lebt, nun wieder Assistenzärztin in einer Klinik. "Seit Kriegsbeginn habe ich viele nette und freundliche Menschen kennengelernt", erzählt Pavliuchenko. "Die Unterstützung, die ich erfahren habe, ist kaum zu übertreffen."

Sie fand Aufnahme bei einem jungen Ehepaar, dann wohnte sie bei einer "verständnisvollen, freundlichen Frau, die mich, meinen Mann und unsere beiden Katzen beschützte". Ihre neuen Freunde hätten ihr in dunkelster Zeit das Gefühl vermittelt, "willkommen und geborgen zu sein", dafür sei sie sehr dankbar.

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Dem Jobcenter verdanke sie, dass sie seit Januar wieder als Ärztin arbeiten kann. Die Anerkennung von außerhalb der EU erworbenen beruflichen Qualifikationen ist aufwendig und kostet viel Zeit. Sieben Monaten waren es bisher bei Margarita Pavliuchenko, und das ist vergleichsweise kurz. Eine Vielzahl von Nachweisen war nötig, ohne ihre Ansprechpartnerin beim Jobcenter München, die ihr durch die Verfahrensbürokratie half, wäre das kaum zu schaffen gewesen.

Fehlende Deutsch-Kenntnisse sind das größte Hindernis bei der Arbeitsvermittlung

Dabei hat die Ärztin sogar den Vorteil, dass sie sechs Jahre lang Deutsch in der Schule lernte. Eineinhalb Jahre, bevor der Krieg gegen die Ukraine begann, frischte sie ihre Deutschkenntnisse auf. Mit digitalem Sprachtraining erreichte sie in München das Niveau B2 und absolvierte einen Fachsprachkurs an der Universität. "So konnte ich im Dezember die Sprachprüfung für Ärztinnen und Ärzte machen und schon im Januar am Universitätsklinikum rechts der Isar starten", sagt die junge Medizinerin, die sich freut, nun am Telemedizinzentrum der Klinik und Poliklinik für innere Medizin I arbeiten zu können.

Mit Begeisterung erzählt sie von ihrer Arbeit, wie Herz- und Covid-Kranke mit Hilfe von mobilen Sensoren zuhause während der Therapie überwacht werden können. "Ich lerne sehr viel Neues", sagt Pavliuchenko. "Das ist modernste Medizin." Eine Berufserlaubnis hat sie zunächst für zwei Jahre. "Jetzt muss ich noch eine ärztliche Kenntnisprüfung bestehen, um dann die Erlaubnis zu erhalten, in Deutschland dauerhaft als Ärztin zu arbeiten".

Vielen Geflüchteten aus der Ukraine kann es gar nicht schnell genug gehen, sie wollen möglichst bald arbeiten, um nicht auf staatliche Unterstützung angewiesen zu sein, aber nur wenige haben schon Deutschkenntnisse wie die junge Ärztin. "Ein großer Anteil unserer Kunden besucht bereits die Integrationskurse", sagt Katarina Kainz, Teamleiterin Markt und Integration beim Jobcenter München. Carsten Henrich, Leiter des Jobcenters im Zentrum Wohnen und Integration (ZWI), bescheinigt den Geflüchteten eine "sehr gute Teilnahme und gute Lernfortschritte". Das größte Hindernis für eine schnelle Vermittlung in Arbeit: "Es hapert an Sprachkenntnissen."

Sprachniveau B1 ist für viele Berufe noch zu wenig

Wenn Ende März dann die ersten Geflüchteten ihren Integrationskurs absolviert und damit das Sprachniveau B1 erreicht haben, sei "das für viele Berufe noch zu schwach". Bis Ende Oktober zählte das Jobcenter rund 600 Vermittlungen von Ukrainerinnen und Ukrainern, rund 6500 erwerbsfähige Leistungsberechtigte waren zu diesem Zeitpunkt gemeldet. Fast zwei Drittel davon standen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung, vor allem weil sie an Fördermaßnahmen teilnahmen.

Für das Jobcenter stand die Vermittlung aber im vergangenen Jahr zuerst einmal an zweiter Stelle. Denn zum 1. Juni war der Übergang der Geflüchteten aus der Ukraine, die zunächst Asylbewerberleistungen erhielten, in die Grundsicherung für Arbeitssuchende zu bewältigen, damals besser bekannt als Hartz IV, seit 1. Januar abgelöst vom Bürgergeld. Fast 5200 erwerbsfähige Geflüchtete aus der Ukraine musste das Jobcenter im Juni erfassen.

Carsten Henrich, Jobcenter-Leiter in der Franziskanerstraße, war mehr als froh, dass der Übergang schon länger feststand. Denn das erleichterte die Vorbereitungen. So ließ sich die Beantragung der Leistungen auf mehrere Standorte verteilen: In den Sozialbürgerhäusern konnten sich privat untergekommene Geflüchtete melden, während sich das ZWI um die Menschen aus Gemeinschaftsunterkünften kümmerte.

Der Bereich "Markt und Integration" dagegen, der auch die Arbeitsvermittlung umfasst, wurde für alle Geflüchteten im ZWI zusammengefasst. Zum Einstieg organisierte das Jobcenter im großen Saal des nahegelegenen Sudetendeutschen Hauses Informationsveranstaltungen, zu der 80 Prozent der Eingeladenen erschienen sind. Eine hervorragende Quote, wie Henrich betont. Über 18 Tage hinweg gab es jeweils drei Veranstaltungen, an denen zwischen 80 und 100 Kunden teilgenommen haben.

Hohe Nachfrage in München nach Integrationskursen

Die Nachfrage nach Integrationskursen war enorm: 3800 Verpflichtungsscheine stellte das Jobcenter in nur einem Monat aus, die höchste Zahl jemals überhaupt. Von den Ende Oktober 6527 erwerbsfähigen Leistungsberechtigten aus der Ukraine sind mehr als drei Viertel, 76,4 Prozent, Frauen, viele haben Kinder. Wegen fehlender Kinderbetreuung aber könnten die Frauen oft nicht gleich einen Integrationskurs besuchen, erklärt Katarina Kainz.

Für die Menschen sei wichtig, zu erleben, "hier ist jemand, der mich versteht", sagt Karin Eckert, Teamleiterin Leistung im ZWI. Denn für die Geflüchteten gehe es nicht nur um die Sicherung des Lebensunterhalts, es kämen alle Themen zur Sprache: Fragen zur Krankenversicherung, Führerscheinumschreibung, MVV-Fahrkarten oder zur Kontoeröffnung. Die Geflüchteten seien sehr "IT-affin", viele hätten online Termine gebucht. Erklärvideos zum Jobcenter konnten auf Ukrainisch und Russisch abgerufen werden.

Und nicht zuletzt seien Kurzanträge auf Grundsicherung entworfen worden, "damit niemand am Behördenmarathon scheitert". Im Jobcenter behalf man sich am Anfang, weil es nur ein Dutzend Dolmetscher gab, mit Dolmetscher-Apps und schaffte dann Übersetzungsgeräte an. Inzwischen konnten etwa 130 Sprachmittler gewonnen werden.

Bei vielen der Geflüchteten sei die große Unsicherheit zu spüren, "bleibe ich hier, gehe ich zurück", sagt Karin Eckert. Andere aber seien fest entschlossen, "sich hier eine Zukunft aufzubauen". Die Kunden seien "sehr pflichtbewusst". Wenn etwa das Zurückmelden beim Jobcenter nach einer Ortsabwesenheit, etwa einer Kurzreise in die Ukraine, um Unterlagen zu holen, daran scheitert, dass das Jobcenter schon geschlossen hat, hätten sie sich mit einer aktuellen Tageszeitung vor dem Jobcenter fotografiert und das Bild per Mail geschickt, erzählt Katarina Kainz.

Woran man nun im Jobcenter arbeitet

Gelingt die finanzielle Absicherung schnell, so seien zur Arbeitsvermittlung meist viele Einzelgespräche nötig. Da gilt es die Kinderbetreuung sicherzustellen. Viele Abschlüsse seien mit den hiesigen Anforderungen nicht zu 100 Prozent kompatibel, sagt Henrich, besonders bei stark reglementierten Berufen, wie den medizinischen. "Das Nadelöhr der Anerkennung können wir nicht beeinflussen."

Die bislang gelungenen 600 Integrationen seien angesichts des Sprachniveaus schon ein sehr gutes Ergebnis. Derzeit sei man dabei, die Sprachkurse beruflich zusammenzufassen. So seien zum Beispiel 38 Apotheken in München bereit, geeigneten Jobcenter-Kunden ein Praktikum anzubieten. Wenn alles klappt, dann können sie zunächst im Backoffice einer Apotheke arbeiten, einen berufsbezogenen Deutschkurs besuchen, während die Anerkennung ihrer Qualifikation läuft. Gefördert wird das mit einem Eingliederungszuschuss vom Jobcenter.

Eine stichprobenartige Auswertung hat ergeben, dass zu den am häufigsten vertretenen Berufen unter den Arbeitssuchenden Verkaufstätigkeiten gehören, gefolgt von Reinigungsberufen. Danach kommt der Bereich Unternehmensführung und Organisationsaufgaben, an vierter Stelle stehen die Gesundheitsberufe. "Viele Kunden sind sehr flexibel, sie versuchen bereits nebenher zu arbeiten", berichtet Katharina Kainz. "Aber die größte Arbeit steht uns noch bevor." So seien Spezialkurse notwendig, um für einzelne Berufsgruppen wichtige Sprachkenntnisse zu vermitteln.

Um die Menschen gut zu qualifizieren, damit sie nicht mehr staatliche Unterstützung brauchen, stehe die gesamte Palette der Förderinstrumente zur Verfügung. "Je besser wir sie fördern, desto größer sind ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt", betont Henrich. Angesichts der Mietpreise in München sei es schwierig, sich ein selbständiges Leben aufzubauen, sagt Karin Eckert. Aber das gelte nicht nur für Geflüchtete.

"Als ich meine Heimat verließ, hätte ich nie gedacht, dass ich in Deutschland so gut Fuß fassen könnte", sagt Margarita Pavliuchenko. Für die Zukunft hat sie nur noch einen Wunsch: "Zuallererst Frieden - sowohl in der Ukraine als auch auf der ganzen Welt."

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