Uni, Schule, Kirchen:Das Zentrum der Ukrainer in Deutschland

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Eine der wichtigsten Einrichtungen der ukrainischen Community in Deutschland: die Ukrainische Freie Universität unweit von Schloss Nymphenburg. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Rein zahlenmäßig ist München nicht die Hochburg - dennoch gilt die Stadt als Zentrum der ukrainischen Gemeinschaft hierzulande. Das hat Gründe, die bis zu den Nazis zurückreichen.

Von Elke Richter

Es ist ein unscheinbares Haus in einer stillen Wohnstraße unweit von Schloss Nymphenburg. Nur ein Schild an der Hauswand weist darauf hin, dass sich hier eine der wichtigsten Einrichtungen der ukrainischen Community in Deutschland befindet: die Ukrainische Freie Universität. Sie ist - neben einer Samstagsschule, gleich drei ukrainischen Kirchengemeinden und mehreren Vereinen - einer der Gründe, warum München seit Jahrzehnten das kulturelle Zentrum der Ukrainer in Deutschland ist.

Natürlich lebt nur ein kleiner Teil der bundesweit 330 000 Menschen mit ukrainischem Hintergrund in München. Ende Januar hatten exakt 10 571 Einwohner einen ukrainischen Pass, hinzu kommt eine unbekannte, aber weitaus größere Zahl Ukrainischstämmiger mit deutscher Staatsangehörigkeit. Dennoch: In keiner anderen Stadt in Deutschland gibt es so ein enges Netzwerk ukrainischer Institutionen. "Kirche, Samstagsschule, Uni - das waren und sind die drei wichtigsten Anlaufstellen der ukrainischen Community", sagt Peter Hilkes, Lehrbeauftragter an der Ludwig-Maximilians-Universität für ukrainische Landeskunde.

Peter Hilkes ist Lehrbeauftragter an der LMU für ukrainische Landeskunde. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Der Ursprung liegt im Zweiten Weltkrieg: Fast die Hälfte der sowjetischen Zwangsarbeiter, die von den Nazis nach Deutschland verschleppt wurden, kamen aus der Ukraine - also weit über zwei Millionen Menschen. Gerade in den bayerischen Camps für "Displaced Persons" (DP) fanden sich politisch Aktive zusammen, es entstand eine eigene ukrainische Identität und Gruppendynamik. München wurde zum Zentrum für ukrainische Partisanen und anti-sowjetische Untergrundkämpfer. Auch der bis heute umstrittene Partisanenführer Stephan Bandera fand in München eine neue Heimat - und seine letzte Ruhestätte, nachdem er 1959 von einem Agenten des sowjetischen Geheimdienstes ermordet worden war.

Direkt nach Kriegsende sank die Zahl der Ukrainer in München zunächst massiv auf rund 2000. Denn die sowjetischen Behörden gingen im Zuge der sogenannten Repatriierung auch in Bayern auf die Suche nach Landsleuten, um sie "nach Hause" zu bringen. In Wahrheit aber wurden die Betroffenen wegen "Kollaboration mit dem Feind" nach Sibirien verbannt. Zugleich kam die Ukrainische Freie Universität nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen mitsamt vieler Professoren, Studierenden, anderen ukrainischen Akademikern und Künstlern 1946 von Prag nach München. "Unsere Uni ist ein Leuchtturm im Westen", sagt Kanzlerin Yanina Lipski. "Es ist die einzige Universität außerhalb der Ukraine, in der auf Ukrainisch, aber auch auf Deutsch und Englisch unterrichtet wird."

Gerade die privaten Initiativen sind nun Ursprung vieler Hilfsaktionen

Daneben gibt es in München auch eine Samstagsschule, in der Kinder und Jugendliche Sprache, Kunst, Literatur und Traditionen ihrer Vorfahren kennenlernen. Zudem haben sich mehrere Vereine gegründet, etwa der Ukrainische Pfadfinderbund in Deutschland namens Plast. Außerdem gibt es gleich drei ukrainische Kirchengemeinden: die ukrainisch-orthodoxe, die russisch-orthodoxe und die zu Rom gehörende ukrainische griechisch-katholische Gemeinde. Sie ist mit Abstand am größten und war auch Anlaufstelle für viele, die nach der Unabhängigkeit der Ukraine im Jahr 1991 nach Deutschland kamen: junge, gut ausgebildete Menschen, die in der ehemaligen Sowjetrepublik keine Zukunft für sich sahen. Und für Frauen aus der Westukraine, die als Putzhilfe oder Pflegerin ins benachbarte Ausland gegangen waren, dann aber weiter nach Westen zogen.

Nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 1986 gründeten sich in Bayern viele Hilfsvereine. Städtepartnerschaften verbinden München, Nürnberg, Regensburg und Memmingen mit Kiew, Charkiw, Odessa und Tschernihiw. Auch politisch wurden die Bande immer enger. Seit 1990 tauschen sich die bayerischen und ukrainischen Regierungen regelmäßig etwa über Wirtschaft, Polizei und Justiz aus, seit 2018 unterhält der Freistaat sogar ein "Bayerisches Büro" in Kiew.

Gerade die privaten Initiativen sind nun Ursprung vieler Hilfsaktionen. In der Bibliothek der Ukrainischen Freien Universität etwa standen vergangene Woche zwischen den Büchern auch Tüten mit Wundverbänden und Betäubungsmitteln. Die Studierenden hatten innerhalb von nur zwei Tagen das Geld für einen gebrauchten Rettungswagen zusammengesammelt. Bepackt mit Verbandsmaterial und Medikamenten wurde er auf den Weg zu einer Grenzeinheit in der Südukraine geschickt.

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