Sommer-Tollwood:Münchens liebstes Draußen-Festival geht wieder los

Lesezeit: 3 min

Eröffnung am warmen, trockenen Sommerabend - das Motto jedoch lautet: "Wasser pures Leben". (Foto: Catherina Hess)

Das Sommer-Tollwood startet magisch und ökologisch - und SDP bietet eine umjubelte Mitgröl-Show. Ein Besuch zur Eröffnung.

Von Lukas Heinser

Es ist wieder Tollwood-Zeit und das erste große Konzert in der Musik-Arena startet am Freitag mit einem Knall. Der Vorhang fällt und auf die Bühne treten: Vincent Stein und Dag-Alexis Kopplin, die beiden Spaßvögel von SDP. Sie sorgen ordentlich für Stimmung, denn SDP (kurz für "stonedeafproduction") bieten Mitgrölmusik: Scheinbar jede und jeder der 5000 Anwesenden kann die Lieder in- und auswendig.

Zwischendurch tasten sich die Texte ins politisch Reflektierte vor, etwa wenn das Ich in "Ne Leiche" die Verantwortung für einen Toten im Wohnzimmer auf den Nachbar abschiebt. Dann heißt es wieder: "Frauen sind wie Wesen von 'nem anderen Planeten / Es ist so wie mit Chinesen: ich hab' kein' Plan, wovon die reden". Und Stein und Kopplin tanzen wie kleine Buben übers Bühnenparkett.

SDP (kurz für "stonedeafproduction") bieten Mitgrölmusik. (Foto: Catherina Hess)
Und scheinbar jede und jeder der 5000 Anwesenden kann die Lieder in- und auswendig. (Foto: Catherina Hess)

Um etwas mehr, nämlich das große Ganze - unseren Planeten - geht es beim diesjährigen Tollwood-Festival: "Wasser pures Leben" lautet das Motto und soll auf weltweite Probleme wie Überschwemmungen und Dürre in der Ferne wie auch hierzulande aufmerksam machen. Das Motto ist dem Team anscheinend so wichtig, dass sie diesem eine ganze Drohnenshow mit 150 Flugobjekten widmen.

Diese steigen am Eröffnungstag um 22.15 Uhr gen Himmel und zeichnen, mal blau, mal grün, mal gelb leuchtend, in sich bewegenden Bildern die Geschichte des Wassers in die Nacht. Ein Erzähler berichtet von der Erde, die einst vollkommen von Wasser bedeckt war, und von heute, Millionen Jahre später, da sich der Mensch "das Wasser untertan" gemacht, es aus dem Boden gesogen und die Quellen geplündert habe.

Die Drohnen malen die komplexesten dreidimensionalen Objekte mit erstaunlicher Präzision; etwa ein sich drehendes Windrad oder befahrene Autostraßen. Poetisch ist das in gewissen Momenten. In anderen erinnert der schnelle Wechsel der Szenen und der begleitenden Musik (Strauss, Michael Jackson, Weather Girls ...) an ein Scrollen durch emotionale Instagram-Posts.

Das "Tor zwischen Welten". (Foto: Catherina Hess)

Dem Wasser gewidmet sind auch einige über das Gelände verteilte Kunstwerke, etwa das "Tor zwischen Welten" beim Eingang: Vier steinerne Stufen führen auf ein Podest zum weißen Tor, auf dessen beiden Seiten sich einmal eine Sandfläche, einmal Rasen und Buschpflanzen erstrecken. Im Sand stehen hölzerne Sockel, auf dem Rasen eine Sitzbank, aus der die Gräser sprießen. Auf beiden Seiten sitzen Leute und blicken durchs plätschernde Wasser, das vom Tor herunterfließt, nachdenklich zur jeweils gegenüberliegenden Seite hinüber.

Festival im Olympiapark
:Was auf dem Sommer-Tollwood geboten ist

Eine Drohnen-Show zum Auftakt, bekannte Bands, ein tanzendes Pferd und ein singender Tiger: Alle Infos zum Tollwood-Festival im Olympiapark.

Von Julian Gülker, Philipp Holzhey und Michael Zirnstein

So war es von Andrey von Schlippe, Leiter Bildende Kunst des Festivals, wohl gedacht, als er sein Kunstwerk entwarf: Der frappante Unterschied zwischen dem Fehlen und Vorhandensein von Wasser soll greifbar werden. Gedanken an den menschengemachten Klimawandel und seine Folgen kommen auf.

Tollwood macht den Kommerz sympathisch

Das Herzstück des Festivals bildet seit jeher der "Markt der Ideen". Markt nennt man ihn zu Recht - etwa 220 Stände reihen sich dicht aneinander und bieten Kleider, Schmuck, Krimskrams, Kissen, Kochutensilien, Brieftaschen in allen Formen und Farben. Und auch Ideen gibt es genug: Gürtel aus nachhaltigem Kork, Silberringe aus altem Besteck, Schalen aus heimischem Holz. Geworben wird jeweils mit nachhaltigem Material, lokaler Produktion und fairen Arbeitsbedingungen im Herstellungsprozess. Die Preise halten sich zudem in Grenzen. Tollwood macht den Kommerz sympathisch.

Das Herzstück: der "Markt der Ideen". (Foto: Catherina Hess)

Etwa 900000 Besucher kommen jedes Jahr zum Sommerfestival, eine unglaubliche Zahl. Innerhalb der vier Wochen und ihrer Vorbereitung wird folglich ein Haufen Energie verschwendet und CO₂ produziert - würde man denken.

Das Tollwood-Team versucht, dem mit aller Kraft entgegenzuwirken: Der gesamte Energiebedarf wird nach eigenen Angaben mit Ökostrom abgedeckt, für Licht sorgen energieeffiziente LED-Lampen. Die biozertifizierte Verpflegung - Spezialitäten aus 20 unterschiedlichen Nationen - soll dem Klima jährlich 116 Tonnen Treibhausgas ersparen.

Ein bisschen Klimaschaden ist aber unvermeidbar, etwa wenn Tom Jones für sein Tollwood-Konzert am 23. Juni nach Europa hinüberjettet. Die Organisatoren wollen solche Faktoren kompensieren, indem sie über die Klimaagentur "atmosfair" an "Solar-, Wasserkraft-, Biomasse- oder Energiesparprojekte in Entwicklungsländern" spenden.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Das alte Hippie-Festival hat in manchen Momenten einen poetisch-verrückten Charakter; in den Sinn kommt einem etwa "Cie Paris Bénarès 'Chevâl'", ein riesiges, von vier Männern gesteuertes Pferdemodell. Eine rot gekleidete Tänzerin legt ihm bei der Show im "Amphitheater" Zügel um, reißt an ihnen und windet sich in beinahe erotischer Weise vom einen Bühnenrand zum anderen. Zu hypnotisierender Musik nähern sich Pferd und Frau schließlich an. Sie streichelt seine Schnauze. Dann steigt sie auf den Sattel und streckt die Hände in die Höhe. Das Pferd ist gezähmt.

Sollten doch mal Wolken am Nachthimmel aufziehen, scheint der Mond trotzdem über dem Tollwood: Hinter dem Andechser Musikzelt, auf einem kleinen Hügel am Rande des Geländes, leuchtet ein riesiges, wahrheitsgetreues Mond-Duplikat von Luke Jerram. Der britische Künstler hat es fürs Festival nochmals zusammengebaut, nachdem es 2019 schon im "Natural History Museum" in London zu sehen war. Vom Hügel aus gleicht der Festivalplatz nachts einem Glühwürmchen-Dorf: Familien, Paare und Freunde füllen die Gassen zwischen den leuchtenden Zelten und Ständen, setzen sich in eines der mexikanischen, marokkanischen oder italienischen Pop-up-Restaurants oder legen sich auf die Wiese unter dem "Mond".

Aus den Zelten dröhnt bis 22 Uhr Musik, danach wird in der Silent Disco der "Half Moon Bar" zu Kopfhörer-Sound getanzt. Sockel und Bank beim Eingangs-Kunstwerk sind noch immer besetzt. Ein Mädchen steht unter dem Torbogen und freut sich über das fließende Wasser.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusSchlauchboot-Tour auf der Isar
:Sich nach München treiben lassen

Wer mit dem Schlauchboot auf der Isar paddelt, kommt vorbei an unberührter Natur - und an Menschen, die dem Stress der Großstadt entgehen, indem sie ihr entgegenschippern. Damit es nicht lebensgefährlich wird, gibt es allerdings ein paar Dinge zu beachten.

Von Max Fluder und Mark Siaulys Pfeiffer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: