Theater:Die Mutmacherin

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Alle können mitspielen: Mit einem Online-Konzept überbrückte das Theater Spielhaus die langen Monate der Schließung während der Pandemie. (Foto: Christian Escher)

Seit 25 Jahren begleitet Eva Marie Koblin mit ihrem Theater Spielhaus junge Menschen auf dem Weg der Selbstentfaltung. Im vergangenen Jahr geschah das hauptsächlich online - jetzt kehren die jungen Künstler zum Jubiläum ins Stadtleben zurück.

Von Sabine Reithmaier, München

Eine Vision ist eine feine Sache. Doch sie zu verwirklichen und daraus ein Lebenswerk zu gestalten, erfordert viel Energie und Kraft, Zeit und Herzblut. Vor 25 Jahren hat Eva Marie Koblin das Theater Spielhaus gegründet. Dass es trotz mancher Schwierigkeit immer noch existiert, ist ihrer ansteckenden Begeisterungsfähigkeit zu verdanken. Wie sie sich dieses innere Feuer erhält? Koblin lacht. Darüber habe sie noch nicht nachgedacht, sagt die Siebzigjährige dann. "Es motiviert mich einfach, Persönlichkeitsentwicklungen mitzuerleben."

Koblin schöpft Kraft, wenn ein extrem schüchternes Kind sich auf der Bühne allmählich entfaltet und es wagt, laut zu werden - und die Mutter später berichtet, es komme nun deutlich besser in der Schule zurecht. Und wenn ein Jugendlicher mit Asperger-Syndrom es nach Monaten schafft, in eine fremde Figur zu schlüpfen, ist das ein Moment, in dem sich die Theaterleiterin sicher ist, dass sich aller Aufwand lohnt.

1996 startete sie mit drei Gruppen und 25 Kindern. Inzwischen sind es 20 Gruppen mit Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen; das älteste Mitglied ist 74, das jüngste vier Jahre alt. Jede Gruppe hat ihren eigenen Stil, ihr eigenes Gesicht und einen eigenen Namen. Was aber "Smarties", "Shakies" , "Sternlilien", "Shakespearience", die "Keksebeisserbande" und die anderen eint, ist die Spielfreude.

Narzisstische Eitelkeit unerwünscht

Inzwischen blickt das Spielhaus auf 265 Produktionen zurück, zum Team gehören zwölf Mitarbeiterinnen. Ausschließlich Frauen, die aus unterschiedlichen Berufsfeldern kommen. Das Spektrum reicht von der Deutschlehrerin über Sozial- und Theaterpädagogen bis zu drei Schauspielerinnen. Warum keine Männer? Koblin zuckt die Schultern. Gab es schon, sagt sie. Habe sich aber auf Dauer nicht gefügt, die Auffassungen seien oft unterschiedlich. Ein Beispiel: Männer legten gern Wert auf den Titel Regisseur im Programm, im Spielhaus gibt es aber "nur" Spielleiter. "Hier sind alle gleich wichtig", sagt Koblin. "Du darfst nicht zu narzisstischer Eitelkeit neigen, wenn du bei uns mitarbeitest." Erstaunlich ist die Kontinuität in manchen Gruppen. Manche kommen als Zehnjährige und bleiben, bis der Beruf sie an einen Ort zwingt. "Die wachsen mit uns."

Gründerin und Leiterin des Theater Spielhaus: Eva Marie Koblin. (Foto: Theater Spielhaus)

Koblin hat immer Theater gespielt. Kunst war wichtig in ihrer Familie. Die Großmutter Elsa Kerschbaumer, vor ihrer Ehe Schauspielerin am Volkstheater, gab der Enkelin schon früh Sprechunterricht. Mit zwölf Jahren schrieb diese ihr erstes Theaterstück, führte es mit Nachbarskindern auf. Die Mutter fand die Idee, eine Schauspielschule zu besuchen, trotzdem nicht gut. "Nur wenn du das unbedingt machen musst", zitiert sie die Tochter, die fest entschlossen war, mit Theater die Welt zu verändern. "Ich war extrem politisiert, war sogar bei der einzigen Hausbesetzung in München mit dabei", erinnert sie sich. Aber da ihr der soziale und gesellschaftspolitische Aspekt des Theaters von Anfang an wichtig war und sie gern mit Kindern arbeitete, wurde sie erst Grund- und Hauptschullehrerin. Zum Zweiten Staatsexamen wurde sie nicht zugelassen mit der Begründung, sie hätte zu oft gefehlt. "Die mochten die Art nicht, wie ich unterrichtet habe, viel zu wenig autoritär", glaubt Koblin. Sie legte Widerspruch ein, durfte die Prüfung machen, dachte: "Ich gehe da nie mehr hin." Und quittierte nach kurzer Zeit den Schuldienst.

Inzwischen hatte sie selbst zwei Kinder und gründete mit ähnlich Gesinnten die Projektgruppe Praktisches Lernen. Als das Ziel, die Gründung einer freien Schule, in greifbarer Nähe schien, kündigte der Vermieter die vorgesehenen Räume. Koblin bekam ihr drittes Kind und bald darauf ein Angebot einer Walddorfschule. Fünf Jahre unterrichtete sie in Ismaning, dann beschloss sie, inzwischen 44-jährig, endlich ihr eigenes Theater zu gründen. Ein Jahr nahm sie sich die Zeit, alles vorzubereiten, suchte nach Räumen und Unterstützern, fand in der Körnerstraße im Glockenbachviertel Platz in einem Hinterhaus und startete. Nach eineinhalb Jahren wurde es zu eng, die Raumsuche ging wieder los. Im Hinterhof der Rottmannstraße 7 fand sie ein ehemaliges Glaslager und einen sozial eingestellten Vermieter, der ihr das Ganze bis heute zu einem günstigen Mietpreis überlässt.

Zu jedem Möbelstück im Theater weiß Koblin eine Geschichte, ob zur schicken Bar, die sie geerbt hat, zur ehemaligen Besuchercouch aus der Pinakothek oder zu dem Hochzeitskleid, das zwischen zig anderen Kostümen, Hüten, Schuhen hängt. "Seine Eigentümerin wollte es nicht mehr sehen, weil ihre Ehe schon nach sieben Wochen scheiterte." Wirklich Werbung für das Spielhaus machte sie nie, die meisten Schüler kamen über Mund-zu-Mund-Propaganda.

Daran hat sich wenig geändert. Vermutlich ist das ein Grund, warum das Theater die Pandemie-Zeit gut durchstand. Nach dem ersten Schock entwickelte das Team ein digitales Spielkonzept. "Wir machen seit Monaten Online-Aufführungen." Viel Improvisation ist dabei, auch wenn Themen und Rollen meist festgelegt werden. Nur die Gruppe mit den jüngsten Schauspielern im Kindergartenalter klinkte sich aus, "aber es sind alle wiedergekommen". Wichtig, denn natürlich ist die Finanzierung des Theaters, das von einem gemeinnützigen Verein getragen wird, ein ewiger Balanceakt. "Im Februar habe ich schon Panik gespürt", sagt Koblin. Denn auf neue Schüler musste sie fast ein Jahr lang verzichten.

Bunte Parade durch die Stadt

Auch deshalb ist ihr die Theaterparade durch die Maxvorstadt, mit der das Theater an diesem Sonntag sein 25-jähriges Bestehen feiert, so wichtig. Bietet sie doch die lang ersehnte Möglichkeit, die Schüler wieder live mit dem Theater zu verbinden. Reale Aufführungen sind im Spielhaus aufgrund des Hygienekonzepts noch kaum möglich. Aber natürlich hat der Zug mit Musik, Masken, überlebensgroßen Puppen und kostümierten Schauspielern auch ein politisches Anliegen. "Wir demonstrieren für kulturelle Vielfalt und soziales Miteinander", sagt Koblin.

Die Theaterchefin freut sich darauf. Auch wenn sie immer öfter darüber nachdenkt, allmählich ihren Abgang vorzubereiten. Aber eine Nachfolgerin für ein Lebenswerk zu finden, ist eben alles andere als leicht.

25 Jahre Theater Spielhaus: Parade durch die Maxvorstadt am 11. Juli , 11 Uhr, Start in der Rottmannstraße 7

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