SZ-Adventskalender:Wenn es alleine nicht mehr geht

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Seit dem Tod des Vaters müssen die drei Kinder und ihre Mutter allein zurechtkommen - über ein Fahrrad haben sie sich riesig gefreut. (Foto: Catherina Hess)

Dann hilft der Adventskalender der Süddeutschen Zeitung. Und oft sind es kleine Dinge, die das Leben leichter machen - ein Rückblick auf 2018.

Von Sven Loerzer, Anna Hoben und Thomas Anlauf

Wie wertvoll die Hilfe der SZ-Leser für ihre Mitbürger in schwieriger Lage ist, können Zahlen allein nur ansatzweise vermitteln. Tausenden Menschen in München und der Region hat der "Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung" mit seiner 70. Spendenaktion geholfen, Engpässe zu überwinden. Eine Woche vor dem Start der nächsten Aktion blickt der Adventskalender noch einmal zurück auf das vergangene Jahr und fragt nach bei Menschen, für die sich die SZ-Leser engagiert hatten, was die Unterstützung für sie bedeutet hat. Der Schwerpunkt der Hilfe galt Kindern und Jugendlichen, die in Armut aufwachsen, alten Menschen in Not, Menschen, die durch Krankheit und Behinderung von vielem ausgeschlossen bleiben, was sonst selbstverständlich ist.

Förderunterricht und Fahrrad

Der Vater der drei Kinder starb an einer schweren Krebserkrankung, als das jüngste Kind, Mariethe, gerade elf Monate alt war. Inzwischen ist sie acht Jahre alt, ein aufgewecktes Mädchen, das gerne zur Schule geht. Und zum Ballettunterricht. Dass ihr SZ-Leser diese besondere Förderung ermöglicht haben, die sich die Familie nie hätte leisten können, darüber habe sich Mariethe riesig gefreut. Schließlich will sie ja immer noch Balletttänzerin werden, erzählt die alleinerziehende Mutter Bijou, die den Spendern herzlich für ihre Großzügigkeit dankt. Genevieve, die zwölfjährige Schwester, freute sich über schulische Förderung und das Fahrrad: "Es war ihr großer Wunsch, jetzt kann sie mit dem Fahrrad in die Schule fahren."

Die ganze Aufmerksamkeit der Mutter Bijou beansprucht derzeit Sohn Yans. Der Elfjährige spricht nicht, aber er hält die Familie immer wieder in Atem. Bei Yans wurde Autismus diagnostiziert. Gegen Ende des vergangenen Schuljahres konnte er wegen seines schwierigen Verhaltens nicht mehr die Schule und die heilpädagogische Tagesstätte besuchen. Bislang war keine Einrichtung bereit, den Jungen aufzunehmen. Auch wenn es der Mutter immer wichtig war, ihren behinderten Sohn im Kreis der Familie aufwachsen zu lassen, ist sie nun mit ihren Kräften am Ende.

In der kleinen Zweizimmerwohnung ist es längst zu eng, die Mutter schmerzt die Klage der Töchter, "Mama, wir brauchen Ruhe." Seit fast sieben Jahren hofft die Mutter, die in ihrer früheren Heimat Kongo Wirtschaft studiert hat und vor 13 Jahren nach Deutschland kam, auf eine Sozialwohnung, doch trotz hoher Dringlichkeit kam die Familie nicht zum Zug. Weil ihr Sohn wieder zuhause ist, musste sie ihre Halbtagsstelle aufgeben - der unruhige Sohn benötigt ständig Aufsicht. "Er ist sehr, sehr anstrengend. Es ist manchmal sehr schwierig für mich." Jetzt richtet sie alle Hoffnung auf einen Termin im Kinderzentrum, aber der ist erst im Dezember. Und immer noch auf eine größere Wohnung: "Meine beiden Töchter bräuchten doch ein Zimmer."

Ersatz für die zerbrochene Brille

"Gott sei Dank ist der Geist noch da", sagt Elisabeth Winter. Das ist ja, wenn man 87 Jahre alt ist, gar nicht hoch genug zu schätzen. Der Geist ist also da, auch der ihr eigene feine Humor blitzt durch, wenn man sie anruft und fragt, wie es ihr im vergangenen Jahr ergangen ist. Aber was nützen Geist und Humor, wenn es so oft an essenziellen Dingen mangelt. Altersarmut war 2018 eines der großen Themen der Spendenaktion des SZ-Adventskalenders. Vielen älteren Menschen in München geht es so wie Elisabeth Winter. Sie haben nur eine kleine Rente, kommen mit Grundsicherung irgendwie über die Runden. Schwierig wird es, wenn etwas kaputt geht. So wie bei Elisabeth Winter im vergangenen Jahr die Mikrowelle. Und ihre Brille, die bei einem Sturz zerbrach. Mit der Spende des Adventskalenders konnte sie die neuen Brillengläser bezahlen. Sie kaufte eine neue Mikrowelle; der Kühlschrank ließ sich reparieren. Dafür ist sie dankbar.

Ihr verstorbener Mann Helmut Winter, der als "Knödelschütz von Pasing" zu lokaler Berühmtheit gelangt war und es mit seiner listigen Erfindung sogar in die nationale Presse geschafft hatte, war selbständiger Werbegrafiker; seine Frau arbeitete in seinem Büro mit. In diesem Jahr wäre ihr Mann 100 Jahre alt geworden. "Seinen Geburtstag haben wir früher immer toll gefeiert", sagt sie. Was sie dieses Jahr an dem Tag machen wird, weiß sie noch nicht. Vielleicht wird sie sich etwas Schönes zu essen kochen. Im vergangenen Jahr hatte sie erzählt, sie würde so gern mal wieder Rindsbackerl essen. Es haben sich dann gleich ein paar SZ-Leser gemeldet, die sie ins Wirtshaus einladen oder mit ihr zusammen kochen wollten. Darüber hat Elisabeth Winter sich sehr gefreut, auch wenn aus den Treffen dann leider nichts geworden ist. Sie ist eben nicht mehr so flexibel. Sie habe jetzt schon ein paar Mal darüber nachgedacht, wie alt sie sei, "und das tut mir leid". Warum? "Weil ich immer noch gerne ein lebendiger Mensch wäre." Wenn die Sonne scheint und sie auf ihrer Terrasse werkeln kann, dann fühlt sie sich aber immer noch sehr lebendig.

Ärztliche Hilfe

Vor einem Jahr wusste Julia V. nicht mehr weiter. Die Krebserkrankung, heftige Migräneattacken, ständige Schmerzen in der Schulter, dass sie manchmal ihre Hand nicht mehr bewegen konnte und dazu die ständige Sorge, wie sie mit ihren zwei Kindern finanziell über die Runden kommen kann. Durch die Krankheit und die Schmerzen konnte die heute 44-jährige Münchnerin ihren Beruf nicht mehr ausüben. Es gab Tage, an denen sie nichts aß, damit wenigstens die Kinder satt wurden. An Urlaub ist seit Jahren nicht zu denken, Julia V. zog sich mehr und mehr aus dem öffentlichen Leben zurück, sie hatte ja nicht einmal Geld, um sich mit Freunden in einem Café zu treffen. Sie ging schließlich zur Schuldnerberatung.

Trotzdem hat Julia V. ihre Zuversicht und ihren Lebensmut nicht verloren. Vor einem Jahr begann sie, ehrenamtlich alten Menschen zu helfen, die niemanden mehr haben. Mittlerweile ist aus dem Engagement ein fester Job geworden, seit Juli ist sie fest angestellt. "Das macht auch viel Spaß", sagt sie heute. Der Tumor in der Gebärmutter werde "im Zaum gehalten", wie regelmäßige Kontrollen beim Arzt ergeben haben. Dank einer finanziellen Hilfe des SZ-Adventskalenders konnte sie sich die Behandlung ihres Arms bei einem Osteopathen leisten. "Die Versteifung ist jetzt praktisch weg", sagt sie. Auch gegen ihre Migräneattacken bekam sie eine erfolgreiche Spezialbehandlung - und sie konnte sich eine neue Brille kaufen.

Das Leben ist für Julia V. immer noch hart, ihr inzwischen volljähriger Sohn ist ausgezogen. Für ihn muss sie jetzt Unterstützung zahlen. Doch der kleinere Sohn, der nun aufs Gymnasium geht, bekam ein neues Bett, sie selbst hat sich eine bessere Matratze gegönnt, außerdem ist sie mit ihren Kindern endlich mal Kleidung einkaufen gegangen. "Es geht mir jetzt eigentlich ganz gut", sagt die allein erziehende Julia V., die trotz der vielen Rückschläge ihre gute Laune nicht verloren hat. "Es gibt so viele, denen es schlechter geht als mir", sagt Julia V. heute.

© SZ vom 23.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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