SZ-Adventskalender für gute Werke:Hauptsache in Sicherheit

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Für Viviana B. ist es wichtig, "dass ich mein Deutsch verbessern und mich um meinen Sohn kümmern kann". (Foto: Catherina Hess)

Viviana B. arbeitet in einem Pflegeheim und bildet sich nebenbei weiter, um ihrem Sohn eine gute Zukunft zu ermöglichen. Nazar E. hat wegen Corona seinen Arbeitsplatz verloren. Er versucht alles, um seinen Kindern Chancen für ihr Leben zu bieten.

Von Thomas Anlauf

Die Weihnachtskrippe ist schon aufgebaut. Natürlich gibt es Ochs und Esel, auch die Heiligen Drei Könige dürfen nicht fehlen. Ein paar Häuser hat Manfred Lionel in seine kleine gebirgige Landschaft aus Packpapier und Moos gestellt. "Das macht man so in Kolumbien", sagt der Zehnjährige. "Einen Tag habe ich dafür gebraucht." Der junge Landschaftsarchitekt ist schon ein bisschen stolz auf sein Ergebnis, zu Recht. Wenn er nicht gerade in der Schule ist oder bei Freunden, sitzt er jetzt im Corona-Winter zu Hause in der kleinen Wohnung und bastelt oder boxt manchmal auf den Sandsack ein, der im Flur bei der Krippe hängt. Viviana B. lächelt ihren Sohn an. Er ist alles, was sie hat. Geld haben die beiden so gut wie nicht übrig. Doch sie sind nun in Sicherheit, in München.

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"Hier kann mein Kind auch draußen spielen."

Viviana B. hatte in ihrer Heimatstadt Cali in Kolumbien als Krankenschwester gearbeitet. Eines Tages lernte sie einen deutschen Mann kennen, die beiden begannen eine Fernbeziehung, schließlich bekam Viviana B. ein Kind von ihm, Manfred Lionel. Das Leben in der Stadt war gefährlich, regelmäßig gab es Schießereien, dazu die grassierende Korruption. "Zweihundert Euro habe ich im Monat verdient und täglich zwölf Stunden gearbeitet", erzählt die 38-Jährige. "Ich hatte dort immer Angst um meinen Sohn." Schließlich ertrug sie die ständige Gefahr nicht mehr und ging 2017 mit Manfred Lionel nach München. "Hier kann mein Kind auch draußen spielen", sagt sie und lacht befreit.

Doch das Leben hier ist für sie hart. Der Vater konnte die Mutter und den Sohn finanziell nicht unterstützen, also mussten die beiden zwei Jahre lang äußerst beengt in einer Wohnungslosenpension leben. Doch Viviana B. kämpfte. Sie lernte sehr gut Deutsch und fand über eine Zeitarbeitsfirma eine Anstellung in einem Altenheim. Vor knapp zweieinhalb Jahren konnten Viviana B. und ihr Sohn schließlich in eine kleine Wohnung umziehen. Doch dann kam die Pandemie.

Die Frau wurde zunächst in einem Altenheim mit zahlreichen Corona-Fällen im Pflegebereich eingesetzt. Doch dann kam überraschend die Kündigung. Die Leihfirma habe ihr mitgeteilt, dass in der Corona-Krise zahlreiche Pflegeschülerinnen zur Verfügung stünden und Altenheime ohnehin lieber festes Personal als Mitarbeiterinnen von einer Zeitarbeitsfirma beschäftigen.

Sie hat wieder einen Job in der Pflege gefunden, über eine Leihfirma

Für die Kolumbianerin war das ein bitterer Rückschlag. Sie bekam plötzlich nur noch Hartz IV, etwas Größeres konnte sich die Alleinerziehende überhaupt nicht leisten. Manfred Lionel bräuchte dringend ein Fahrrad, auch ein paar Tage Urlaub in einem Freizeitpark oder Ähnlichem würde den beiden sehr gut tun. Denn Viviana B. kümmert sich so gut es geht um ihren Sohn. Sie erledigt Behördendinge, versucht Manfred Lionel bei seinen Hausaufgaben zu unterstützen, was natürlich in der noch immer etwas fremden Sprache nicht ganz einfach ist.

Immerhin hat sie wieder einen Job in der Pflege gefunden, auch wieder über eine Leihfirma. Viel Geld verdient sie damit nicht, zumal sie in dem neuen Altenheim nicht in verschiedenen Schichten arbeiten kann, damit ihr Sohn nicht zu lange allein zu Hause ist. Aufgeben will sie aber nicht: "Für mich ist es wichtig, dass ich mein Deutsch verbessern und mich um meinen Sohn kümmern kann", sagt Viviana B. Sie will sich weiterhin um eine gute Stelle im Sozial- oder Pflegebereich bewerben, damit sie eines Tages ihren Beruf ausüben kann, der sie glücklich macht. Und sie genügend Zeit für ihren Sohn hat.

Gerade Menschen mit Migrationshintergrund sind von der Corona-Krise oft besonders hart betroffen. Viele arbeiten in der Gastronomie, die während der Pandemie immer wieder Kurzarbeit anmelden oder sogar ganz schließen musste. Auch Ausbildungsbetriebe haben in der Vergangenheit zugemacht. Das Problem ist oftmals, dass Geflüchtete oft keinen sicheren Aufenthaltsstatus haben, weiß Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Dazu kommt, dass sie auf dem angespannten Wohnungsmarkt häufig keine Chance haben oder sich die Appartements oft gar nicht leisten können. Über die Jahre entstehen für viele Menschen Schulden, oder sie können nicht einmal die nötigsten Dinge für den Haushalt anschaffen.

Nazar E. hat schon so viele Schicksalsschläge erlebt

Nazar E. ist in einer fast ausweglosen Lage. In der gemeinsamen Wohnung, in der er mit seiner Frau und drei Kindern lebt, geht der Trockner schon lange nicht mehr, am Herd funktioniert nur noch eine Platte. Die Teppiche sind zerschlissen und müssten erneuert werden. Doch woher soll Nazar E. das Geld nehmen? Die Corona-Pandemie hat den Familienvater an den Rand der Verzweiflung gebracht.

Denn eigentlich ging es der Familie gut. Nazar E. arbeitete acht Jahre lang in der Gastronomie, zuletzt war er sogar Teamleiter bei der Gastro-Kette Vapiano. Doch die meldete Insolvenz an, die Mitarbeiter wurden entlassen. "Ich bin deshalb sogar vor Gericht gegangen, aber ich habe kein Geld bekommen", sagt der 36-Jährige. Der Familienvater war plötzlich arbeitslos.

Nazar E. hofft weiter, dass er bald wieder voll arbeiten und die Familie ernähren kann. München ist seine Heimat geworden. (Foto: Catherina Hess)

Nazar E. hat schon so viele Schicksalsschläge erlebt. Er gehört der jesidischen Minderheit im Irak an, er und seine Familie, die in Mossul lebt, wurden immer wieder mit dem Tod bedroht. 2009 schließlich floh er aus dem Land und kam schließlich nach München. Dort lernte er seine Lebenspartnerin kennen, die ebenfalls als Jesidin aus dem Irak geflohen war. Zwar ist E. als Flüchtling anerkannt, trotzdem musste die Familie jahrelang in einer Wohnungslosenunterkunft ausharren. Mittlerweile hat das Paar drei Kinder - zwei Mädchen im Alter von sechs und vier Jahren und seit zwei Monaten einen kleinen Buben. Sie leben nun in einer Wohnung einer sozialen Wohnungsbaufirma am Stadtrand Münchens.

Seit es seiner Frau gesundheitlich schlecht geht, muss sich Nazar E. auch um sie und die Kinder kümmern. Mehr als einen Minijob in der Gastronomie, den er vor einiger Zeit gefunden hat, kann er bei der Belastung derzeit eigentlich gar nicht annehmen. Nur mit aufzahlenden Hartz-IV-Leistungen vom Jobcenter kommt die Familie überhaupt einigermaßen über die Runden.

"Ich werde niemals zurückgehen in den Irak."

Doch jetzt ist auch noch die Mutter seiner Frau lebensgefährlich erkrankt. Nazar E. hält einen Brief in der Hand, der behandelnde Arzt hat ihn aus dem Irak geschickt: Angina pectoris, und gerade hatte die Schwiegermutter einen schweren Herzinfarkt. Allein für den Arzt braucht Nazar E. viele hundert Euro. Auch in seiner eigenen Familie gibt es viel Leid. Kürzlich starb sein Vater, ein paar Monate zuvor kam sein Bruder bei einem Verkehrsunfall ums Leben.

"Aber ich werde niemals zurückgehen in den Irak", sagt Nazar E. Er möchte seine Kinder in Frieden aufwachsen sehen und ihnen Chancen für ihr Leben bieten, die auch Kinder von nicht so armen Eltern haben. Fürs Erste wäre es schon ein großes Geschenk, wenn er und seine Familie ein paar Tage in einem kleinen Hotel entspannen könnten. Deshalb hofft er weiter, dass er bald wieder voll arbeiten und die Familie ernähren kann. München ist seine Heimat geworden. "Es sind sehr gute Menschen hier", sagt er zum Abschied.

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