Stadtführungen:Zeitreise mit dem mittelalterlichen Nachtwächter

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Wenn Katrin Huschka in ihrer Nachtwächterin-Verkleidung am Marienplatz steht, zieht sie die Blicke von Einheimischen und Touristen auf sich. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Katrin "Katl" Huschka nimmt die Teilnehmer ihrer Führungen mit ins mittelalterliche München. Dabei erfährt man nicht nur, wie klein die Stadt früher war, sondern auch, warum Müller und Henker um die Gnade Gottes fürchten mussten.

Von Annemarie Rencken

Die Geschäfte haben geschlossen, der Shoppingstress des Tages ist gewichen. München schaltet in den Freizeitmodus. Neben einer Aktionsgruppe mit Anonymous-Masken, die stumm, aber mit eindringlicher Musik protestiert, stehen vor allem Touristen auf dem Marienplatz. Geschäftsleute schlendern mit hochgekrempelten Ärmeln vorbei. Und mittendrin wartet Katrin Huschka an der Mariensäule und zieht die Blicke auf sich. Denn sie trägt ein langes, schwarzes Gewand samt Umhang und Hut. Eine Frau bittet sie sogar um ein Foto: Die außergewöhnlich gekleidete Frau soll mit ihrer Tochter posieren.

"Gott zum Gruße, ich bin die Katl", sagt die 51-Jährige und lacht. Seit gut einem Jahr verwandelt sich die ausgebildete Erzieherin Huschka an Abenden wie diesem in die Nachtwächterin Katl, deren Hauptaufgabe es ist, die "Leute einzufangen und mit ins Mittelalter zu nehmen", wie sie es ausdrückt. Das macht sie freilich nur im übertragenen Sinne, denn physisch einfangen muss sie die elf Frauen und Männer nicht, damit sie ihr auf die knapp zweistündige Tour durch Münchens historischen Kern folgen. "Ihr kriegt's die schönen Blicke, ich schau in irgendwelche hässlichen Gassen." Nachtwächterin Katl baut sich mit ihrer Hellebarde, einer mittelalterlichen Stoßwaffe, vor der Gruppe auf. Genau so, dass sie nicht den Blick auf das abendliche Treiben auf dem Marienplatz verstellt.

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Wo man sich hinstellt, damit man gut verstanden wird, ohne die Sicht zu verdecken, wie man am besten mit den Leuten bei einer Führung interagiert und natürlich all die historischen Infos, das hat sich Huschka bei der Ausbildung bei der Stadtführungs-Agentur "Weis(s)er Stadtvogel" angeeignet. Sie bezeichnet sich selbst als Münchner Kindl. Und doch sei sie überrascht gewesen, wie viel sie in ihrer Ausbildung noch über ihre Heimatstadt gelernt habe. "Auch jetzt liegt noch ein Stapel Bücher neben meinem Bett, der wird nicht kleiner." Oft seien die Leute verwundert, dass sie eine Frau sei und nicht der typische Nachtwächter, der einem auf der Webseite des Weis(s)en Stadtvogels ernst entgegenblickt.

"Dem Anderl schmeckt das Bier halt gar so gut", erklärt Huschka der Gruppe deshalb gleich zu Beginn, wie ihre Figur, die "Ratsch-Katl", zu ihrem Job kam: Sie sprang ein, nachdem ihr Mann an der Pest starb und ihr Bruder den gesamten Nachtwächterlohn nicht in die Ernährung der acht Kinder steckte, sondern lieber einen über den Durst trank. Huschka schafft einen Spagat: Sie verkörpert ihre Rolle ernsthaft und bringt die Gruppe immer wieder zum Lachen. Weil sie eben nicht schmunzeln muss, wenn sie Harry Potter als die "moderne Bibel" bezeichnet, oder die S-Bahn als "Eisenwurm". So taucht die kleine Gruppe immer mehr in die Welt des mittelalterlichen Münchens ein. Huschka springt gekonnt zwischen den Jahrhunderten, erklärt die Bedeutung von Statuen, an denen man sonst immer vorbeihastet und erzählt von der Pest, die die Stadt 25 Mal in drei Jahren heimgesucht hat. Und von den Schäfflern, die München durch ihren Tanz neues Leben eingehaucht haben.

Mit einem blauen Sticker, den alle Teilnehmer bekommen, kann sie diese vom "Gschwerl" - also dem Gesindel - unterscheiden, das sich nachts unerlaubt auf den Münchner Straßen herumtreibt, wie sie sagt. Das müsse sie ins Gefängnis stecken. Für Sicherheit zu sorgen, sei eine ihrer Hauptaufgaben als Nachtwächterin, erklärt sie den Teilnehmern der Führung. Sie warnt aber gleich vor den Tücken ihres ehrlosen Berufs: Man stehe in der Kirche ganz hinten, wie die Henker und die Müller. Und liege auf dem "Gottesacker" an der Frauenkirche nur in der vierten Reihe - werde also möglicherweise am Tag des Jüngsten Gerichts nicht vom Sog des Heilands erfasst, der zu jeder Kirche komme, um die Seelen der Gläubigen einzusammeln.

Immer wieder schlendern Passanten vorbei, bleiben stehen und hören zu, was die Nachtwächterin zu berichten hat. "Hat es der Anderl wieder nicht rausgeschafft?", ruft ihr ein Nachtwächter-Kollege augenzwinkernd zu, der mit seiner eigenen Gruppe unterwegs ist. Nicht einmal zwei Stunden braucht Huschka, um die wichtigsten Orte des mittelalterlichen Münchens abzulaufen. Das war zugegebenermaßen auch nicht recht groß und reichte vom weißen Turm am Alten Rathaus, zum ehemaligen Schönen Turm am Ende der Kaufingerstraße und umfasste grade noch die Frauenkirche und den Alten Peter. Zum Abschluss singt Huschka noch ihr Nachtwächter-Lied und gibt ihren Schützlingen ihre liebste Grußformel mit auf den Heimweg: "Pfiat euch Gott - egal welcher."

Die Nachtwächterführungen beginnen täglich um 21 Uhr am Marienplatz. Eine Anmeldung im Internet unter www.stadtvogel.de ist erforderlich.

© SZ vom 05.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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