SZenario:Gaudi bis zur Grätsche

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Marianne Sägebrecht erhält den Sigi-Sommer-Taler - und ist bei ihrer Dankesrede kaum zu stoppen. (Foto: Leonhard Simon)

Die Schauspielerin Marianne Sägebrecht freut sich so sehr über ihren Sigi-Sommer-Taler, dass sie bei ihrer Dankesrede in die Verlängerung geht. Ganz zum Schluss zieht sie dann einen Vergleich zu Leni Riefenstahl.

Von Thomas Becker

Als es Richtung Halbzeit geht, aber weit und breit kein Schiedsrichter herumläuft, der abpfeifen könnte, ergreift André Hartmann die Initiative - entert, während die Preisträgerin noch redet, demonstrativ die Bühne, pirscht sich immer näher heran, bis die Geehrte nicht mehr anders kann als auf ihn einzugehen. Es folgt eine herbe Grätsche des Moderators, aber anders ist der Redefluss dieser Frau einfach nicht zu stoppen. Mei, selber schuld, wenn man sich Marianne Sägebrecht einlädt. Die passt halt nicht in den durchgetakteten Programmablauf einer Preisverleihung.

Früher, als Sigi Sommer noch lebte, war die Verleihung seines Talers eine recht unkomplizierte Angelegenheit. Menschen, die er mochte, schenkte er einfach eine dieser silbernen Erinnerungsmünzen mit seinem Konterfei, das er selbst gezeichnet hatte. Kündet ja schon von einem gesunden Selbstbewusstsein, einen Silbertaler mit dem eigenen Antlitz schmieden zu lassen. Anlass war 1978 der 30. Geburtstag seines Stammtischs im Augustiner-Keller. Wie viele Taler der als Stadtflaneur Blasius zu lokaler Weltberühmtheit gelangte Schreiber verteilte? Wer weiß.

1996 starb er mit 81 Jahren, und es sollte fünf weitere Jahre dauern, bis wieder ein Sigi-Sommer-Taler verteilt wurde - auf Initiative von Narrhalla-Präsident Günther Grauer und Marian Schulz. Letztere war 1978 Faschings-Prinzessin und hatte jahrzehntelang Sommers Bücher veröffentlicht. Das Anforderungsprofil für Preisträger wurde wie folgt skizziert: "Dass hinter ihrem Granteln ein Lächeln steckt. Dass sie alles sein können: wehmütig wie bissig - zu unserer Freude." Die erste Preisträgerin 2001 erfüllte diese Kriterien zu 100 Prozent: Erni Singerl. Auch in den folgenden Jahren waren begnadete Grantler unter den Ausgezeichneten, aber manchmal wunderte man sich schon, wer einen Sigi-Silberling zugesteckt bekam.

Preisträger Chris Böttcher bei seiner Dankesrede. (Foto: Leonhard Simon)

Und damit zur ersten, coronabedingten Doppel-Verleihung: Nachdem Martin Frank im Frühjahr als Preisträger 2021 geehrt worden war, folgen nun im Wirtshaus am Schlachthof die Taler für 2020 und 2022. Nach einem von lauen Veganer-Witzchen geprägten Solo des Kabarettisten und 2019-Gewinners Martin Rassau steuert die Veranstaltung auch schon auf ihren Höhepunkt zu: die Laudatio von Josef Brustmann auf Marianne Sägebrecht. Die beiden kennen sich seit zehn Jahren, stehen zuweilen mit ihren "Sterbeliedern fürs Leben" gemeinsam auf der Bühne. Brustmann hätte es sich also einfach machen und ein paar Schoten über das einstige "Zuckerbaby" erzählen können. Hat er aber nicht. Sondern - wie es nun mal seine Art ist - den Komplex Marianne Sägebrecht in Gänze zu durchdringen versucht, was ja schon eine Herkulesaufgabe ist, und das Ergebnis sodann in so ernsthafter wie unterhaltender Form darzubieten. Es glückt ihm auf derart fulminante Art, dass es Zwischenapplaus gibt.

Den gibt es auch für Roland Hefter, den zweiten Laudator, der sich mit drei Songs erst mal Mut ansingen muss, wie er beichtet: "I bin brutal nervös - das ist meine erste Laudatio." Die Eloge auf Chris Böttcher gelingt und gefällt auch dem Preisträger von 2022: "Wenn alle Stadträte so wären wie der ..." Was den Gaudiburschen Böttcher jedoch mit Sigi Sommer verbindet, will sich nicht so recht erschließen, außer dass der auch gern spazieren geht. Nun ja.

In Sachen Wehmut und Bissigkeit - siehe Anforderungsprofil - ist Brustmann sicher derjenige, der dem Blasius am nächsten kommt. Marianne Sägebrecht beweist derweil mit ihrer wild mäandernden Dankesrede nochmal, was für ein Unikum sie ist, überzieht die Redezeit gewaltig, aber es gibt halt so viel zu erzählen. Zum Beispiel von ihrem Sehnsuchtsziel Surinam, wo sie mit ihren 77 Jahren unbedingt hin will. Verrückte Idee? Iwo, sagt sie: "Die Riefenstahl war 92, als sie zu den Nubiern fuhr, Tiefseetauchen lernte - und sich zwei Lover geholt hat."

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