Schulnoten:"Eltern üben oft einen starken Erwartungsdruck auf die Kinder aus"

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Kai Maaz ist Professor am Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Frankfurt am Main. (Foto: Britta Huening/www.fotorismus.de)

Bildungsforscher Kai Maaz erklärt, warum manche Kinder benachteiligt werden und warum Lehrer Fortschritte der Schüler besser kommunizieren müssten.

Interview von Heike Nieder

Kai Maaz ist Professor und geschäftsführender Direktor am Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Frankfurt am Main. Er untersucht unter anderem den Einfluss des sozialen Hintergrunds von Schülerinnen und Schülern auf deren Bildungswege.

SZ: Welche Zusammenhänge gibt es zwischen dem Elternhaus eines Kindes und dessen Schullaufbahn?

Kai Maaz: Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass ein Kind aus einer privilegierteren Familie bei gleicher Leistung, gemessen mit einem standardisierten Leistungstest, weniger streng bewertet wird als ein Kind aus einer sozial weniger privilegierten Familie. Ebenso ist die Wahrscheinlichkeit für Kinder aus privilegierteren Familien größer, eine Empfehlung fürs Gymnasium zu bekommen als für Kinder aus sozial schwächeren Familien.

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Wie erklären Sie sich das?

Ich würde nicht so weit gehen, dass man hier von systematischen Benachteiligungen sprechen kann. Bei der Vergabe der Empfehlung am Ende der Grundschule sollen Lehrpersonen in einigen Bundesländern neben den Schulnoten explizit weitere Informationen heranziehen. So könnten sie zum Beispiel denken: Ich habe hier ein Kind, das erreicht zwar gerade so eben die Voraussetzungen für eine Gymnasialempfehlung, aber ich weiß, es bekommt wenig Unterstützung aus seiner Familie. Das könnte schwierig werden, wenn sich im Gymnasium dann ein Problem auftut. Deshalb gibt der Lehrer dann eher eine Empfehlung für eine nichtgymnasiale Schulform.

Wäre es für mehr Gerechtigkeit hilfreich, die Noten abzuschaffen?

Ich halte es zum jetzigen Zeitpunkt nicht für realistisch, die Ziffernote abzuschaffen. Viel eher sollten die individuellen Feedbacksysteme erweitert werden. Lehrpersonen müssen den Kindern Rückmeldung geben, wo sie sich in ihrer individuellen Entwicklung befinden. So können sie Lernfortschritte vermitteln, auch wenn man in der Ziffernote vielleicht keine Veränderung sieht. Für das Kind ist es wichtig zu wissen, was genau es nicht kann und welche Konsequenzen sich daraus für die Gestaltung seiner Lernprozesse ergeben.

Aber wird das nicht schon viel gemacht an Schulen?

Ich will nicht in Abrede stellen, dass es die Formate der individuellen Rückmeldung gibt, ich sehe aber durchaus Potenzial, dass man diesen Anteil stärken könnte.

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Würde das auch helfen, den Druck von den Kindern zu nehmen?

Wenn ich die Leistung eines Kindes nicht ausschließlich mit einer Ziffernote bewerte, sondern auch kleine Veränderungen im Leistungsstand dokumentieren kann, wirkt das motivierend und der Druck wird minimiert. Allerdings kann es auch so sein, dass dieser Druck nicht ausschließlich aus dem Kontext Schule aufgebaut wird, sondern vor allem in den Familien. Wenn eine Klassenarbeit angekündigt wird, gibt es durchaus Eltern, die nervös werden und sich alte Klassenarbeiten besorgen. Und dann lassen sie die Kinder üben, üben, üben.

Was sollten Eltern stattdessen tun?

Ruhe bewahren. Selbst wenn ein Kind gewohnt ist, immer sehr gute Noten zu bekommen, muss ihm klar sein: Wenn ich hier eine Drei schreibe, ist das vollkommen okay. Kinder sollten auch auf keinen Fall dafür bestraft werden, wenn sie eine Note haben, die die Eltern so nicht erwartet haben. Eltern üben oft einen starken Erwartungsdruck auf die Kinder aus, den sie im Übrigen auch an sich selbst stellen.

Oft ist es aber auch die Prüfungssituation selbst, die den Kindern Angst macht.

Es hängt davon ab, welches Klima die Lehrperson im Unterricht vermittelt. Man kann ja Prüfungssituationen so gestalten, dass man nicht auf einmal Bücher zwischen Banknachbarn aufstellt oder Tische auseinanderschiebt. Sondern es durch unterschiedliche Aufgaben ermöglicht, dass die Kinder weiter zusammensitzen können. An der Durchführung der Klassenarbeiten selbst sollte man aber nicht rütteln.

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