München:Ruf der Muezzins

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Der Madrigalchor der Hochschule für Musik und Theater München gibt ein Konzert in Kairo und in Muscat

Reisebericht von Sonja Lachenmayr und Veronika Sammer

Zeitverschiebung - 27. Februar - Tag 1

Es ist elf Uhr vormittags, als sich langsam die Sänger des Madrigalchors der Hochschule für Musik und Theater München gemeinsam mit ihrem Chorleiter Martin Steidler am Münchner Flughafen einfinden. Die Stimmung ist fast so gut wie auf der Reise nach Amerika vor zwei Jahren. Allerdings wird an diesem Tag spürbar, dass die Reise nach Ägypten und in den Oman - im Gegensatz zu früheren Chorreisen - eine diskussionsreiche Vorgeschichte hatte. Die Ereignisse der vergangenen Jahre sowie die Berichterstattung über Länder des Nahen Ostens hatten für reichlich Gesprächsstoff und lange Diskussionen im Chor gesorgt: Vorbehalte und Ängste wurden geäußert. Doch spätestens als die Egypt-Air-Maschine in der Luft ist, sind diese vergessen. Nach einem ruhigen Flug landen wir um 18.50 Uhr in Kairo. Erster Eindruck: außergewöhnlich schöne Visa-Aufkleber. Nach ägyptischen zehn Minuten (sprich: deutschen 45 Minuten) bekommen wir unser Gepäck. Unsere Reiseleiterin, Franziska Zankl, gibt uns weitere Anweisungen zum Verlauf des Abends - und schon geht es hinaus in die verkehrsreiche Großstadt. Zum Abschluss des Tages werden wir im Hotel mit einem außergewöhnlichen, ägyptischen Abendessen überrascht. Der musikalische Leiter und Initiator des Projekts, Adel Shalaby, begrüßt uns. Mit ihm haben wir bereits in München zwei erfolgreiche Konzerte erlebt.

Das Land der Kontraste - 28. Februar - Tag 2

Fünf Uhr früh: Der Ruf des Muezzins, der, nach der Lautstärke zu urteilen, direkt vor unserem Fenster stehen muss, erfüllt die langsam erwachende Stadt. Es geht los. Wir lernen den berühmt-berüchtigten Fahrstil der Bevölkerung kennen. Nach einer Stunde und einer Durchschnittsgeschwindigkeit von zirka fünf Stundenkilometern kommen wir zur ersten Probe am Kairo Opera House an. So viele Mitwirkende aus unterschiedlichen Nationen, so viel Freude am gemeinsamen Musizieren. Da auf dem Konzertprogramm auch Stücke ägyptischer Komponisten stehen, lernen Tenor und Bass eines der bekanntesten arabischen Volkslieder: "El Toba". Zur gleichen Zeit amüsieren sich Sopran und Alt über winterliche Fotos aus Deutschland und genießen im Freien die Sonne. Am Nachmittag erkunden wir in kleinen Gruppen zu Fuß die Umgebung. Das Stadtbild ist geprägt von paradoxen Gegensätzen: Berge von Müll neben traumhaften Gartenanlagen, heruntergekommene Häuserblocks neben Luxus-Hotels, Chaos auf den Straßen neben Militär- und Polizeipräsenz. Ein Teil der Gruppe geht abends in einen Jazzclub und erlebt dabei größte musikalische Qualität und herzliche Gastfreundschaft. Gespielt werden wider Erwarten allseits bekannte Jazz-Standards. Die Folge: Einige von uns stehen nach kurzer Zeit auf der Bühne und musizieren mit. Ein fantastischer Abend - Musik verbindet.

Ägyptischer Empfang - 29. Februar - Tag 3

Tag drei beginnt mit der Generalprobe auf der Bühne des Opera House, dessen schlichte Eleganz uns - vor allem bei Nacht - verzaubert. Danach geht eine Gruppe in das ägyptische Restaurant Abou el Sid, das sich, versteckt in einer kleinen Gasse, erst nach ein paar Anläufen finden lässt. Ein ultimativer Geheimtipp! Der Service ist gut, die Einrichtung filmreif, die Preise mehr als studentenfreundlich und das Essen grandios. Um 19.30 Uhr ist es dann so weit: Der "konzertfertige" Chor singt sich ein und eröffnet das Konzert "Zwischen Orient und Okzident" mit dem Stück "Hear my Prayer" von Purcell. Die ägyptischen Kompositionen, in denen unter anderem die Männerstimmen des Chores und die Sängerin Amira Reda zu hören sind, kommen bei den Zuhörern sehr gut an. Die Mischung aus traditionell ägyptischer und westlicher Musik entführt das Publikum in eine wunderbare neue und spannende Klangwelt. Die für uns ungewohnte ägyptische Mentalität zeigt sich unter anderem im regen Applaus - während der Stücke. Hinter der Bühne: geschäftiges Treiben und engagierte Kommunikation der Angestellten. Besonders fällt auf, dass der ägyptische Handyempfang offensichtlich auch innerhalb von Konzertsälen außergewöhnlich gut sein muss. Im zweiten Teil des Konzerts sind alle beteiligten Musiker höchst konzentriert bei der Sache und musizierten Carl Orffs "Carmina Burana" mit großer Emotion. Zur Feier des erfolgreichen Konzerts werden wir alle vom Konzertmeister Ahmed Mounib zu einer kleinen Feier eingeladen.

My Home is my Pyramid - 1. März - Tag 4

Die Nacht ist kurz. Das Abenteuer Ägypten geht weiter: Quer durch die Stadt bringen uns unsere Fahrer zu den Pyramiden von Gizeh, zur Sphinx und zu einem Aussichtspunkt mit Blick auf die Pyramiden. Ein Kamelritt gehört natürlich auch dazu. Die vielen Händler sorgen teilweise für eine etwas angespannte Stimmung, sind aber trotz ihres fortwährenden Singsangs "This is for free, but do you have something for my kids?" freundlich und hilfsbereit. Da wir jede Minute des Tages nutzen wollen, fahren wir nachmittags noch zum Khân el-Kalîli, dem größten Basar Kairos. Kaum angekommen, spricht uns ein ägyptischer Mann an, der sich als deutsch- und englischsprachiger, ehemaliger Reiseführer herausstellt. Er überredet uns, ihm in den Teil des Marktes zu folgen, in dem keine Touristen unterwegs sind und führt uns in immer schäbigere Gassen, um uns einheimische Läden zu zeigen. Kamelfleisch hängt in offenen Läden, Hühner und Hasen werden verkauft, es wimmelt von Dreck und unzähligen Katzen, es riecht ungewohnt. Unsere Gruppe ist hin- und hergerissen zwischen Begeisterung und auch ein bisschen Angst: Freundlich erklärt uns unser privater Stadtführer alles, kämpft jede Minute um unser Vertrauen und will uns gar nicht mehr gehen lassen. Er führt uns in einen Gewürzladen unter einer Moschee, in enge, überfüllte Verkaufsstraßen mit Läden voller bunter Stoffe und auf das Dach der Moschee, von dem man alle umliegenden, nachts beleuchten Minarette überblicken kann. Plötzlich: Von allen Seiten ertönen die Rufe der Muezzins, die sich zu einem magischen Gesang verbinden. Am Ende sehen wir noch den Innenraum der Moschee - dann bringt uns unser Führer wohlbehalten zurück zu unserem Ausgangspunkt.

Wir sind überwältigt von diesem unfassbaren Erlebnis, der Offenheit und der Selbstverständlichkeit, mit der uns dieser freundliche Mann seine Stadt und Kultur näher gebracht hat. Zum abendlichen Austausch der Erlebnisse trifft sich ein Teil des Chores noch in einer Shisha-Bar. Zum Abschluss eines ereignisreichen Tages geht es weiter in ein Lokal mit ägyptischen Darbietungen und - Bauchtanz.

Verkehr(te Welt) - 2. März - Tag 5

Bevor wir uns mit unserem Gepäck in Richtung Flughafen aufmachen, machen wir noch einmal Halt im ägyptischen Museum, in dem wir erneut die Vielfalt einer außergewöhnlichen Kultur bestaunen. Einige von uns fahren noch einmal zum Basar: Sie wollen sich von unserem ägyptischen Freund gebührend verabschieden und ihm für seine spezielle Führung danken: mit "Shukran" und "Bakshesh". Noch eine letzte rasante Fahrt, dann sind wir am Flughafen. Zahlreiche, eher ungewöhnliche Sicherheitskontrollen später finden wir uns alle im Flieger der Oman-Air-Maschine wieder, der uns mit einem etwas holprigen Flug wohlbehalten nach Maskat bringt. Der erste Eindruck dort: ordentliche, müllfreie Anlagen, über die Maßen freundliche Menschen, die in ihren traditionellen Gewändern auf Ankommende warten und edle Autos mit unbeschädigtem Lack. Auffallend anders ist der Straßenverkehr, in dem man tatsächlich wieder Geschwindigkeitsbegrenzungen einhält und an roten Ampeln stehen bleibt. So kommen wir entspannt zu unserem Hotel, das uns mit westlichem Luxus empfängt.

O(h)man(n), O(h)man(n)! - 3. März -Tag 6

Nach dem bekannten Sprichwort "Der schlafende Vogel fängt gar nichts" begeben wir uns gleich am nächsten Vormittag auf Erkundungstour. Wir besuchen die berühmte, traumhaft schöne Sultan Qabus Moschee mit weitläufigen, bunt blühenden Gärten, den farbenprächtigen, stimmungsvollen Suk, einen Markt in der Bucht von Matrah, dessen diverse Weihrauch-Gerüche betörenden Charme versprühen und lernen in einem Museum vieles über die Geschichte des Landes. Ein Gruppenfoto vor dem Sultans-Palast. Sauberkeit, Ordnung, westliche Standards harmonieren mit orientalischem Flair und freundliche, weltoffene Menschen machen den Ausflug zu einem unvergesslichen Erlebnis. Um uns musikalisch zu sammeln, fahren wir am Nachmittag zu einer kurzen Probe in das Royal Opera House Muscat, dessen überwältigender, moderner Bau an "Tausendundeine Nacht" erinnert. Die Betreuung innerhalb des Hauses ist extrem strukturiert und nach internationalen Standards organisiert. Voller Vorfreude auf das Konzert an diesem Samstag und die Erlebnisse der nächsten Tage kehren wir zu einem fulminanten Abendessen in das Hotel zurück.

Zwischenfazit der Reise: Entgegen aller Vorbehalte und Ängste hat sich gezeigt, dass hier eine farbenfrohe, freundliche und spannende Welt mit offenen, warmherzigen Menschen auf weitere Entdeckungsreisen wartet.

© SZ vom 05.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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