"Scholle 3" am Riemer Friedhof:Wie München Platz für seine Toten schafft

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Das "Kreuz im Nichts" ist eine Großplastik des Künstlers Hermann Bigelmayr und gilt als Orientierungssymbol im Friedhof Riem. (Foto: Florian Peljak)

Im Osten Münchens wurde ein 1,3 Hektar großes Gräberfeld neu eröffnet - es ist die derzeit größte Friedhofserweiterung in ganz Deutschland. Sie steht symptomatisch für die Entwicklungen der Stadt.

Von Julian Raff

Münchens Wachstum lässt sich kaum mehr anders als in Superlativen beschreiben - und das gilt nicht nur für die lebenden Stadtbewohner: Westlich der Messestadt Riem übergibt die Stadt ein 1,3 Hektar großes Gräberfeld seiner Bestimmung, es ist die derzeit größte Friedhofserweiterung in Deutschland. Die im Stil des Riemer Parks nüchtern-geometrisch angelegte "Scholle 3" erweitert den erst 2001 eröffneten neuen Teil des Riemer Friedhofs um 950 Grabplätze nach Norden. Rechnet man den 110 Jahre alten Teil mit ein, wird der Friedhof um rund ein Viertel vergrößert.

Dass hier am Ostrand Münchens angebaut wird, ist kein Zufall: Um die Jahrtausendwende begann auf dem ehemaligen Flughafengelände die Messestadt immer weiter zu wachsen. Gut 20 Jahre später kommen viele Bewohnern in ihre späten und letzten Jahre.

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Eine Entwicklung, die stadtweit in vielen Vierteln zu beobachten ist: Mit einer eigenen Zentralstelle reagiert die Stadt deswegen auf den demografischen Wandel. Zuvor hatten die 14 Bestattungsbezirke noch weitgehend für sich geplant. Der Landschaftsarchitekt Arndt Schulte-Döinghaus leitet nun die im August gegründete Abteilung für die Entwicklungsplanung von Friedhöfen. Er koordiniert die Neuplanungen und potenzielle Erweiterungen für die derzeit 26 "aktiven" Münchner Friedhöfe und nicht zuletzt deren Nachverdichtung im Inneren.

Nicht immer stehen auf den städtischen Friedhöfen großzügige Flächenreserven zur Verfügung wie in Riem. Dort ist nördlich der dritten "Scholle" noch eine vierte, etwas größere vorhanden. Diese wird wahrscheinlich ab den 2030er-Jahren belegt werden.

Noch aber erfreuen sich die geburtenstarken Jahrgänge der 1950er- und 60er-Jahre bester Gesundheit. In den kommenden Jahrzehnten werden sie Schulte-Döinghaus und seinen Kollegen aber reichlich zu tun geben, so viel steht fest. Und darauf muss er sich einstellen. Noch weiter fortsetzen dürfte sich der Trend zum Urnengrab, auf das inzwischen 70 Prozent der Bestattungen entfallen. Für Sargbestattungen werden kleinere und pflegeleichte Grabplätze bevorzugt, besonders in neueren Stadtvierteln wie der Messestadt. Repräsentative Familiengräber sind dagegen eher in gutbürgerlich-alteingesessenen Vierteln wie Trudering gefragt.

Verlässliche Prognosen können die Friedhofsplaner im Zeitalter globaler Mobilität immer schwerer aus der Einwohnerstatistik ableiten. Die Corona-Pandemie hat Schulte-Döinghaus in Erinnerung gebracht, dass sich die Lebenserwartung auch im 21. Jahrhundert nicht zu 100 Prozent berechnen lässt. Jedenfalls habe man entsprechende Planungsinstrumente in der Corona-Zeit schon einmal "scharf gestellt".

Die Corona-Pandemie veränderte auch die Friedhofsplanung

Wirklich verändert hat Corona die Planung aber auf eine andere Weise: Mit den Reisebeschränkungen haben die Münchner ihre Friedhöfe als Freiräume vor der Haustüre schätzen gelernt. Aufenthaltsqualität sollen sie daher gleichermaßen für Trauergäste, Angehörige und Anwohner bieten - und nebenbei das Stadtklima kühlen, auch wenn man in Riem noch etwas Phantasie braucht, um sich die zahlreichen Setzlinge als Schatten spendende Bäume vorzustellen.

Natürlich gilt es in einer Metropole wie München nicht nur den knappen Platz baulich zu verwalten, sondern ihn auch für verschiedenste Weltanschauungen und Religionen offen zu halten. Die Frage, ob man dafür auf einem bayerischen Friedhof wirklich auf das Kreuzsymbol verzichten muss, wurde kontrovers diskutiert, bevor Holzbildhauer Hermann Bigelmayr bei der Eröffnung des neuen Riemer Friedhofsteils 2001 sein zentrales "Kreuz im Nichts" enthüllte.

Das Kunstwerk, zugleich Orientierungsmarke und Wahrzeichen des Friedhofs, musste wegen Pilzbefalls im Holz vorübergehend abgebaut werden. Bigelmayr überarbeitete es. Vier neun Meter hohe Eichenstämme tragen eine fünf Tonnen schwere Gneisplatte. Der Raum dazwischen bildet - quasi als dreidimensionales Vexierbild - ein Kreuz, das sich dem Betrachter nicht aufdrängt. Anlässlich der Erweiterung wurde das Kunstwerk erneut eingeweiht.

Die Friedhofsverwaltung bemühte sich um größtmögliche spirituelle Ausgewogenheit in der Eröffnungszeremonie. Neben christlichen, jüdischen und muslimischen Würdenträgern erteilten der Begräbnisstätte auch Vertreter der Bahai und der thailändischen buddhistischen Gemeinde Wat-Thai die Weihe. Dass es zur Zeremonie aus Kübeln goss, könne man getrost als göttlichen Segen betrachten, meinte der katholische Pfarrer Arkadiusz Czempik. Die Friedhofsgärtner, gleich welcher Konfession, dürften es nach langer herbstlicher Trockenheit ähnlich gesehen haben.

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