Prävention:Wenn die Semmeltüte vor Trickbetrügern warnt

Lesezeit: 3 min

Die Münchner Polizei und die Bäcker-Innung starten eine gemeinsame Aktion gegen Telefonbetrüger. Das ungewöhnliche Projekt soll potenzielle Opfer auf die Gefahr aufmerksam machen.

Von Joachim Mölter

In den hiesigen Bäckereien werden weiterhin Semmeln, Brote, Brezn und allerlei süße Teilchen eingepackt, eins aber sicher nicht: "Falsche Polizeibeamte kommen mir nicht in die Tüte". So heißt zumindest die Kampagne, mit der die Bäcker-Innung München und Landsberg, der Verein Münchner Sicherheitsforum sowie das Polizei-Präsidium gemeinsam vor dem organisierten Callcenter-Betrug warnen wollen, dem vor allem ältere Leute zum Opfer fallen.

Zum Start der Aktion am Freitag erklärte Innungs-Obermeister Heinrich Traublinger: "Mit den Bäckertüten schaffen wir relativ einfach ein visuelles Werkzeug." Auch die Vorsitzende des Sicherheitsforums, Kristina Frank, sprach davon, "viele Menschen auf einfachem Wege" zu erreichen. Auf Vorder- und Rückseiten der Papiertüten sind Verhaltenstipps der Polizei aufgedruckt, wie man betrügerische Anrufe erkennt und sich dagegen wehrt: Am besten einfach auflegen! "Gesundes Misstrauen ist keine Unhöflichkeit!", steht fettgedruckt auf der Tüte.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Es gibt viele unterschiedliche Maschen, mit denen Verbrecherbanden am Telefon arglose Menschen um ihr Geld bringen wollen: Sie geben sich als Polizeibeamte aus, als Enkel in Not, Mitarbeiter von Microsoft - oder sie versprechen Lotteriegewinne. Die meist aus regelrechten Callcentern heraus operierenden Anrufer versuchen dabei, ihre Opfer unter einem Vorwand dazu zu bewegen, Geld und Wertsachen an einen Abholer zu übergeben. Der schafft die Beute schnellstmöglich weiter zu den meist im Ausland sitzenden Bandenchefs. Aber, so der Hinweis auf der Tüte: "Die Polizei holt NIEMALS Geld oder Wertgegenstände bei Ihnen ab."

Man kann das nicht oft genug wiederholen, der Trick mit den falschen Polizeibeamten hat seit Längerem Konjunktur, Tendenz immer noch steigend, wie Kriminaldirektor Erwin Frankl sagt, der Chef der Abteilung Verbrechensbekämpfung. 6113 solcher Delikte registrierte das Präsidium München 2020 in seinem Zuständigkeitsbereich; bei den 51 vollendeten Taten entstand ein Schaden von insgesamt 4,26 Millionen Euro. Der Kampf gegen die Banden mit der eigens dafür gegründeten Arbeitsgruppe Phänomene zeige jedoch Wirkung, betonte Frankl: In diesem Jahr wurden bereits 33 Komplizen der falschen Polizisten festgenommen - mehr als doppelt so viele wie im Jahr zuvor.

Die Tütenaktion ist nun eine weitere Maßnahme, um speziell ältere Menschen über die Methoden der Trickbetrüger aufzuklären. "Zu achtzig Prozent sind deren Opfer über 80 Jahre alt", sagt Karl Schneid, der stellvertretende Leiter des Kommissariats für Opferschutz und Prävention. Diese Altersgruppe ist über Internet und digitale Kommunikationswege kaum zu erreichen, viele Senioren haben keinen Zugang dazu oder benutzen diese Medien nicht. "Da muss man auf althergebrachte Wege zurück", sagt Schneid.

"Sensibilisieren Sie Ihre Verwandten oder Bekannten mit dieser Tüte!"

Ein nahezu idealer Weg hatte sich zu Jahresbeginn aufgetan, als es darum ging, die Über-80-Jährigen über die Corona-Impfung zu informieren. In einer gemeinsamen Aktion mit Stadt München und bayerischem Gesundheitsministerium wurde damals allen Impf-Einladungen eine Broschüre mit Warnhinweisen der Polizei beigelegt. Die erreichte damit exakt die gewünschte Zielgruppe. Insgesamt ging die Post an 83 000 Senioren in der Stadt und 25 000 im Landkreis.

Anschließend hat das Kommissariat sein Informationsmaterial natürlich auch über die Impfzentren vertrieben, aber da habe man keinen Überblick, ob es in der avisierten Altersklasse auch ankomme, gibt Schneid zu. Das wird bei den Bäckertüten wohl auch so sein, im Grunde kann die ja jeder in die Finger kriegen. Bäckermeister Traublinger appelliert deshalb an die jüngeren Abnehmer: "Helfen Sie mit und sensibilisieren Sie Ihre Verwandten oder Bekannten mit dieser Tüte!"

16 Bäckereibetriebe in München und in Landsberg machen bislang bei der Kampagne mit, in 125 Filialen sollen in diesem Jahr noch insgesamt 100 000 der speziellen Bäckertüten ausgegeben werden. Wenn es um Verbrechensprävention gehe, "brauchen wir immer wieder innovative Ideen, um die Gebetsmühle aufs Neue anzuwerfen", sagt Karl Schneid: "Wenn man immer nur das Gleiche wiederholt, hört einem ja bald keiner mehr zu." Man dürfe jedenfalls nicht nachlassen, findet er, "die Täter tun's ja auch nicht".

Zwar hat die türkische Polizei in Zusammenarbeit mit den Münchner Ermittlern Ende 2020 in Izmir eine Callcenter-Bande ausgehoben, die auf den Betrug als falsche Polizisten spezialisiert war. Doch der Betrieb war nur vorübergehend stillgelegt. "München wird jetzt von anderen Gruppen bearbeitet", weiß Schneid, "und die sind emsiger denn je." Bis zu 600 Anrufe in der Stadt an einem Tag haben die Beamten der AG Phänomene bereits registriert. Damit Münchens Senioren den geschickt agierenden Betrügern nicht auf den Leim gehen, werde die Polizei auch künftig "ähnlich kreative Wege suchen und alles daran setzen, um weiter vor dieser perfiden Tätermasche zu warnen", versprach Erwin Frankl.

© SZ vom 04.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusOrganisierte Kriminalität
:"Die Täter sprechen sehr realitätsnah mit den Opfern"

Trickbetrügereien, bei denen sich Kriminelle am Telefon als Polizisten ausgeben, um ältere Menschen auszurauben, nehmen zu. Woher kommt die Masche und wieso funktioniert sie so gut? Zu Besuch bei den echten Polizisten, die nach den Tätern fahnden.

Von Joachim Mölter

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: