Frank S. ist ein groß gewachsener Mann. Ein Hüne - mit seinen schulterlangen Haaren und dem Hamburger Einschlag in der Stimme könnte man ihn für einen echten Seemann halten. Für einen, der schnacken kann, reden also, Geschichten erzählen.
15 Jahre lang war Frank S. an vielen Orten in München anzutreffen, dabei meist einen Stapel von Heften der Obdachlosenzeitung Biss, die Frank S. verkaufte. Als festangestellter Mitarbeiter. Er selbst nennt sich einen Top-Verkäufer. Auch die Biss-Führung hielt lange Zeit viel von ihm. Sie lichtete Frank S. noch in diesem Sommer für eine Plakataktion ab und schickte ihn als Vertreter, ja als Aushängeschild, auf einen Kongress nach Seattle in den USA.
Neue Straßenzeitung:Konkurrenz für Biss
Mit 25.000 Exemplaren startet die neue Straßenzeitung "Charity München", die ihre Leser zum Helfen animieren will. Nicht überall stößt das neue Projekt auf Begeisterung.
Jetzt wird Frank S. keine Obdachlosenzeitungen mehr verkaufen. Er wird auch nicht mehr für Biss auf Kongressen aus seinem Leben sprechen, das ihn, wie er sagt, aus dem Nichts zum Umsatzmillionär machte, dann in die Obdachlosigkeit führte. Und zu Biss.
Frank S. fiel in seine Suchtvergangenheit zurück
Am Montag haben sich S. und sein besonderer Arbeitgeber nun getrennt, vor einem Richter, im Erdgeschoss des Münchner Arbeitsgerichtes. Bei einem Gütetermin haben sich beide Seiten darauf verständigt, dass der Arbeitsvertrag zum 30. April auslaufen soll. Bis dahin bekommt Frank S. noch sein Gehalt; wie es danach mit ihm weitergeht, bleibt ungewiss. Mittlerweile ist er wieder obdachlos.
Es ist ein trauriges Ende - nicht nur für S., sondern auch für Karin Lohr, die Geschäftsführerin des gemeinnützigen Vereins, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, genau solchen Menschen wie Frank S. ein Einkommen zu geben, und kein schlechtes. Menschen, die die Zeitung verkaufen, sollen von dem Gehalt ordentlich leben können. Es ist nach sozialen Bedürfnissen ausgerichtet; es bekommen Menschen, die auf dem normalen Arbeitsmarkt aufgrund problematischer Lebensgeschichten keine Chance hätten. Die sollen sie bei dem Blatt haben.
3150 Euro brutto hat S. monatlich verdient, er war der bestbezahlte Verkäufer der Obdachlosenzeitung. "Ich war kein Obdachloser, ich war Vertriebler", sagt S., nahezu ein Zehntel aller Biss-Exemplare habe er selbst in München verkauft.
Exklusiv München:Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Straßenzeitung "Biss"
Die Zeitschrift steht unter dem Verdacht der Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit. Die Vorwürfe stammen von ehemaligen Mitarbeitern, die jetzt für die Konkurrenz arbeiten.
Doch im Sommer 2014 fiel Frank S. in seine Suchtvergangenheit zurück. Er habe das Beruhigungsmittel Tavor genommen, sei medikamentenabhängig gewesen, sagte sein Anwalt während des Termins und begründete den Rückfall damit, dass S. sich aufgearbeitet habe, für die Zeitung.
Frank S. soll andere Mitarbeiter bedroht haben
Doch dort haben sie sich sehr wohl Mühe gegeben, Frank S. nicht fallen zu lassen. Sie haben ihn aufgebaut, haben mit ihm über seine Belastung gesprochen, haben ihm Fortbildungen ermöglicht, versucht, ihn zu integrieren. Am 16. Dezember hat der Verein dennoch gekündigt - fristlos. Weil Frank S. andere Mitarbeiter bedroht haben soll.
Es gab Anzeigen und auch ein Ermittlungsverfahren, das inzwischen eingestellt worden sei, sagte S. vor Gericht. Er räumte ein, dass es zu Streitigkeiten gekommen sei, er habe aber niemanden bedroht. Biss, so ließ es das Gericht durchblicken, hätte durchaus Chancen gehabt, S.' fristlose Kündigung durchzudrücken. Doch man wollte sich mit S. einigen.
"Wir haben Herrn S. in besseren Zeiten kennengelernt und schätzen ihn aus diesen Zeiten", sagte Geschäftsführerin Lohr. Deshalb sei es auch im Interesse von Biss, dass ihr ehemaliges Aushängeschild besser dastehe - ordentlich gekündigt. Mit einem Arbeitszeugnis und mit 9000 Euro, mit denen S. nun einen Neuanfang wagen kann. Sollte der Biss-Vorstand diesem Deal zustimmen, tritt der Vergleich in Kraft. Eine Einigung ohne Einigkeit.