München:Nur das Ankommen zählt

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Der integrative Verein Achilles International animiert Menschen mit Behinderung, Sport zu treiben. Am Sonntag steht beim Ausdauer-Lauf im Westpark der Jahres-Höhepunkt auf dem Programm

Von Jerzy Sobotta

Nach 32 Kilometern kommt die Erschöpfung, nach 37 Kilometern das High. "Dann hab' ich meinen inneren Schweinehund überwunden", erzählt Alexander Hentzschel, als er sich an seine Zeit als Marathonläufer erinnert. Das war früher, als er täglich trainierte und in New York seine Bestzeit von drei Stunden und 15 Minuten schaffte. Vor fast zehn Jahren machte er dann seinen letzten großen Lauf zwischen den Wolkenkratzern. Doch da setzte er seinen Fuß erst nach zwölf Stunden auf die Ziellinie. "Fünf Minuten laufen, zehn Minuten ausruhen, schneller ging es nicht. Aber das war egal, ich wollte um jeden Preis ankommen." Hentzschel hatte seine Krankheit ereilt. Dass er an Multipler Sklerose leidet, wusste er schon seit seiner Jugend. Bis die Schübe einsetzten, lief er gerne und viel. Doch dann begann er zu stolpern, konnte seinen rechten Fuß nicht mehr heben.

Aufgegeben hat der 50-Jährige die Marathons trotzdem nicht. Zwar ist er kein Läufer mehr, aber Organisator. Denn der Fünfzigjährige ist der Vorsitzende der deutschen Landesgruppe von "Achilles International". So heißt der integrative Verein, der Menschen mit und ohne Behinderung in mehr als 40 Ländern zum Laufen animiert.

Zweimal in der Woche treffen sich die Freizeitsportler im Olympiapark. Darunter sind Blinde, Epileptiker und Querschnittsgelähmte. Andere kommen auf Krücken, Rollstühlen oder Prothesen. Begleitet werden sie von freiwilligen Guides, die ihnen zur Seite stehen und bei Bedarf helfen. Die Gruppe erkennt man schon von Weitem an den neon-grün leuchtenden T-Shirts. Dass sie keine gewöhnlichen Jogger sind, sieht man aber erst, wenn sie schon ganz nah sind.

Ohne Training geht es nicht: Die Achilles-Läufergruppe lässt sich durch ein bisschen Regen nicht stoppen. Immerhin ist der jetzt anstehende Westpark-Lauf für manchen Sportler und seinen durch ein Band verbundenen Guide nur eine Zwischenstation auf dem Weg zu noch größeren Herausforderungen. (Foto: Florian Peljak)

Seit vier Jahren kommt auch Bahmann Ghaffari regelmäßig zu den Treffen. Er trägt eine Sonnenbrille, lacht amüsiert und macht bei jeder Gelegenheit einen Witz. Unter dem Logo des Clubs prangt auch der große gelbe Kreis mit drei schwarzen Punkten auf seinem Shirt. Der 59-Jährige hat vor einigen Jahren sein Augenlicht verloren. Über die Trainerin seines Blindenhunds erfuhr er von der Gruppe. Fit ist er schließlich, nur sehen kann er nicht. Dabei hilft ihm Jan Posse: Beide halten eine kurze Leine in der Hand, jeder ein Ende. Posse braucht nur ein wenig zu ziehen und sofort weiß sein Partner, was zu tun ist: Rechts, links oder springen. "Man gewöhnt sich aneinander und lernt, wie man führt. Es ist ein wenig wie beim Tanzen", erläutert Posse. "Am Anfang hatte ich etwas Angst. Nicht vor der Technik, die ist nicht so schwer. Aber vor der Verantwortung." Passiert ist beiden aber bisher nichts. Der gebürtige Iraner heckt schon Pläne aus für den Marathon in New York.

Vereinsgründer Hentzschel kommt nur noch ab und an in den Park, um neue Mitglieder zu begrüßen. Man sieht ihm an, dass er gerne mitjoggen möchte. Sein großer Kraftakt besteht inzwischen darin, die Organisation am Laufen zu halten. Auf gut 60 Mitglieder ist der Münchner Club angewachsen, seit er das Konzept vor sieben Jahren aus den Staaten nach Deutschland holte. Früher arbeitete Hentzschel bei internationalen Konzernen im Vertrieb. Mittlerweile bringt er Studenten an der Fachhochschule bei, wie man Verhandlungen lenkt, mit Körpersprache und Mimik. Nebenbei verdient er sich Geld als Taxifahrer hinzu. "Dabei hab' ich schon einige Sponsoren gewonnen", sagt er stolz. "Nach 300 Metern weiß ich, ob jemand im oberen Management arbeitet." Erst neulich habe ein Geschäftsmann nach der Fahrt mit Hentzschel 2000 Euro gespendet. "Vermutlich die teuerste Taxifahrt seines Lebens. Aber es ist ja für einen guten Zweck", freut er sich. Von dem Geld werden Shirts, Flyer und die Website bezahlt. Aber auch Teilnahmegebühren für Marathons in aller Welt. Und weil die Mitgliedschaft nichts kostet, ist Hentzschel immer auf der Suche nach neuen Sponsoren.

Am Sonntag, 22. Juli, findet das Highlight des Jahres statt: der "Hope and Possibility Run", den Achilles schon zum siebten Mal in München organisiert. Menschen mit und ohne Behinderung laufen dabei gemeinsam durch den Westpark. Von 2,5 bis zehn Kilometer ist für jeden eine gute Streckenlänge dabei. Auch vom Sozialministerium des Freistaats wird der Lauf als Inklusionssport gefördert.

Das Selbstbewusstsein behinderter Sportler will der Verein fördern. Doch daran scheint es den Läufern nicht zu mangeln. Nicht umsonst tragen sie einen fast unbesiegbaren homerischen Helden als Namenspatron auf der Brust.

Mehr Infos zum Mitlaufen gibt es unter www.achillesinternational-germany.org.

© SZ vom 21.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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